Ihr wisst ja nicht, was Liebe ist

werden, wenn ihn meine Eltern anzeigen.
    So ein Quatsch, das glaub ich einfach nicht.
    Pia versucht es mit dem Stichwort „Sex unter 14 Jahren“.
    â€žNee, Pia, lass mal. Das betrifft uns nicht.
    Ich bin in zwei Wochen vierzehn! Klick das weg.
    Leander und ich lieben uns doch einfach nur.
    Ich muss zu ihm. Ganz dringend.“
    Pia schaut mich groß an. „Wieso denn zu ihm?
    Ich denk, das sollst du grad nicht!“
    Ich tippe schon die SMS an Leander.
    â€žTschüss, Pia, danke für alles!“

11. Heimlich
    Es ist dann so gekommen: Leander hat auf meine SMS geantwortet, dass er mich lieb hat und mich noch einmal treffen möchte. Morgen ganz früh.
    Am Sportplatz.
    Wieso, noch EIN mal?, hab ich geantwortet.
    Und er: Ich hau ab. Kannst du mir die Vignette mitbringen, die bei euch am Pkw mit Tesa angeklebt ist?
    Er meint die Vignette für Schweizer Autobahnen.
    Papa war im Februar mit seinen Kumpels beim Skifahren. Eigentlich muss man das Teil wie ein Abziehbild aufkleben. Papa hasst das, denn man kriegt es dann kaum noch ab.
    Scharf beobachtet, Lenni, denke ich.
    Und du kriegst die Vignette nur, wenn ich mitfahren darf!
    Eine Stichflamme aus purem Glück durchfährt mich bei diesem Gedanken.
    Jajaja! Ich fahre mit Leander in die Welt.
    Herrliche Ferien liegen vor mir.
    Und was sage ich meinen Eltern?
    Die Glücksflamme erlischt. Mist.
    Ich KANN ihnen gar nichts sagen.
    Sie haben mir ausdrücklich verboten, Leander zu treffen.
    Die erlauben mir nie, nie, niemals mit ihm auch noch in der Welt herumzureisen.
    Die haben ja keine Ahnung, was Liebe ist.
    Wieso denken sie eigentlich, dass sie mir das verbieten können? Am liebsten würde ich ganz aus ihrem Leben verschwinden.
    Vielleicht kapieren sie dann, dass ich kein Kind mehr bin.
    Erst mal klaue ich ihnen die Vignette.
    Das haben sie davon!
    Ich mache es, während meine Eltern abends bei Pias Eltern hocken.
    Pia schüttelt zwar den Kopf.
    Sie findet Leander unmöglich.
    â€žWas zieht der dich da mit rein?
    Soll er doch zur Hölle fahren!“
    Aber sie steht Schmiere, bis ich den Autoschlüssel wieder an seinen Platz gehängt habe. Ich sage ihr nicht, dass auch ich ab morgen weg sein werde.
    Es fällt mir total megaschwer.
    Doch Pia wäre bestimmt nicht einverstanden, dass ich heimlich abhaue. Und sie würde so lange auf mich einreden, bis ich nachgebe.
    Ich kenn sie doch, sie schafft das.
    Aber ohne Leander will ich keinen Tag mehr sein.
    Jetzt erst recht nicht!
    Also packe ich. Was man für zehn Tage Ferien braucht. So lange haben wir noch, bis die Schule wieder losgeht.
    Geld (von der Konfirmation), Ausweis und die geklaute Vignette.
    Mami und Papi schreibe ich einen total netten Brief, trotz Wut im Bauch. Damit sie sich keine Sorgen machen. Herzchen draufgemalt.
    Und dick unterstrichen: Bin bald zurück.
    Dann streichle ich noch schnell mein Kaninchen Mucki und füttere es.
    Ich stelle den Wecker, aber ich kann die ganze Nacht nicht wirklich schlafen.
    Ich denke nur an Leander. Träume von unserer Reise. Wie superschön es sein wird, Tag und Nacht mit ihm zusammen zu sein.

    Es ist halb fünf. Der Rucksack schwer wie Stein.
    Leise, ganz leise schleiche ich mich aus dem Haus, damit Mami und Papi nicht aufwachen.
    Noch ist es nicht mal hell. Im grauen Morgenlicht schlafen die Häuser.
    Auf leisen Turnschuhsohlen husche ich an den Gartenzäunen vorbei.
    Plötzlich ein schwankendes Radlicht.
    Der Zeitungsbote!
    Ich ziehe den Kopf runter und ducke mich hinter die Hecke, solange er bei den Nachbarn das Tagesblatt in den Briefkasten stopft.
    Mein Herz wummert.
    Ich habe ein schlechtes Gewissen.
    Die Jungs und Mädels im Internet haben mich gewarnt.
    Verboten, was ich mache! Ich bin eine Verbrecherin aus lauter Liebe!
    Die Luft riecht nach nassem Laub. Der Sturm hat kleine Äste und Blätter auf die Straße gestreut.
    Ist das weit zu Fuß! Aber wenn ich mein Rad genommen hätte, und jemand würde es finden? Meine Eltern würden krank werden vor lauter Sorge! Trotz Brief!
    Gestern hätte ich’s ihnen gewünscht.
    Heute tun sie mir fast schon wieder leid.
    Sie haben es gut gemeint.
    Aber sie verstehen mich überhaupt nicht.
    Und von Liebe verstehen sie erst recht nichts.
    Wann wird es denn endlich hell?
    Und wenn ich zu spät bin?
    Wenn Leander nicht auf mich wartet?
    Wenn er ohne mich weggefahren ist?
    Ich biege in die Straße ein, die zum Sportplatz führt.