Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
Politik zu sprechen«, sagte sie in einem Interview mit Alan Clements, der in den 1990er Jahren ein Buch über sie schrieb. Der Besuch in Burma war jedoch zunächst einmal nicht mehr als nur ein Besuch. Es gab keine Anzeichen, die darauf hindeuteten, dass sie ernsthaft plante, sich in der alten Heimat niederzulassen, und erst recht war nicht abzusehen, dass sie in kürzester Zeit eine der bekanntesten politischen Figuren der Welt werden sollte.
Natürlich könnte man einwenden, dass die Krankheit der Mutter oder der besagte Anruf keinen entscheidenden Einfluss auf sie hatten. Als Tochter des burmesischen Freiheitshelden Aung San musste Suu Kyi das ganze Leben ein Erbe mit sich herumtragen, und vielleicht war es einfach so, dass das Schicksal sie schließlich ereilte.
Ihr Vater hatte Burma von der britischen Kolonialherrschaft befreit und in den 1940er Jahren die erste demokratische Verfassung des Landes erarbeitet. Aung San war ein Mensch mit ausgeprägtem Charisma und hatte darüber hinaus die Unterstützung der meisten ethnischen Gruppen Burmas. Alle gingen davon aus, dass Aung San der erste Premierminister des souveränen Landes werden sollte, doch einige Monate vor der formellen Unabhängigkeit wurde er von einer rivalisierenden Gruppe innerhalb der nationalistischen Bewegung ermordet.
In der Innenstadt von Rangun drangen Soldaten in die Versammlungsräume der Regierung ein und eröffneten mit ihren Automatikgewehren das Feuer. Einige Minister wurden zusammen mit Aung San getötet. Viele betrachten die Morde in der Regierungskanzlei als Startpunkt für den Prozess der zunehmenden Machtübernahme durch das Militär, der schließlich 1962 in einem Staatsstreich mündete und zum Sturz der gewählten Regierung führte.
Das Andenken an Aung San wird in Burma noch immer hochgehalten. Überall hängt sein Bild an den Wänden, sei es im kleinsten Teehaus, in den Militärbaracken oder in den Büros der Demokratiebewegung. Alle möchten sich im Glanz des mythenumwobenen Bogyoke (General) Aung San sonnen.
Als ihr Vater ermordet wurde, war Aung San Suu Kyi zwei Jahre alt. Obwohl sie vor 1988 keinerlei konkrete Pläne für ein Leben in der Öffentlichkeit hatte, war ihr die Bedeutung dieses Erbes doch immer bewusst. Zu Beginn der 1970er Jahre, als sie in New York arbeitete und Michael Aris sich in dem kleinen Bergfürstentum Bhutan auf der anderen Seite der Erdkugel befand, konnten die beiden Frischverliebten eine Zeitlang nur in Form von Briefen miteinander kommunizieren. Über große räumliche und zeitliche Distanzen hinweg führten sie einen Dialog über ihre gemeinsame Zukunft. In einem ihrer Briefe schrieb Aung San Suu Kyi:
»Ich möchte dich nur darum bitten, dass du mir hilfst, meine Pflicht zu erfüllen, falls mein Volk mich brauchen sollte. Hättest du etwas dagegen, wenn diese Situation eintreten sollte? Ich weiß nicht, ob das sehr wahrscheinlich ist, aber es könnte dazu kommen.
Mitunter erschreckt mich der Gedanke, dass bestimmte Umstände oder nationale Erwägungen uns im Augenblick des Glücks trennen könnten. Eine Trennung wäre schrecklich. Dennoch weiß ich, dass solche Ängste banal und inkonsequent sind: Wenn wir einander lieben und achten, solange es möglich ist und so sehr wir können, dann bin ich sicher, dass die Liebe und das Mitgefühl am Ende siegen werden.«
Sie wusste, dass eine Zeit kommen könnte, in der Burma ihre ganze Aufmerksamkeit erfordern würde. »Sie wollte, dass ich ihr versprach, sie nicht aufzuhalten, wenn die Heimat sie riefe. Dieses Versprechen gab ich ihr«, sagte Michael Aris später in einem Interview mit der
New York Times
.
Trotz des sozialen und politischen Erbes hatte Aung San Suu Kyi bis 1988 von einer Einmischung in das politische Spiel des Landes Abstand genommen. In Alan Clements’ Buch
The Voice of Hope
beschrieb sie, wie das Schicksal ihres Vaters – sowohl die anstrengende, aufopferungsvolle Arbeit während der Befreiung als auch das ultimative Opfer seiner Ermordung – sie dazu veranlasst hatte, eine öffentliche Rolle abzulehnen. Sie wollte es nicht. Und als sie nun nach Burma zurückkehrte, hatte sie keine Pläne, dauerhaft dort zu bleiben. »Die einzige Idee, die ich abgesehen von der Pflege meiner Mutter hatte, war, eine nach meinem Vater benannte Bibliothek aufzubauen«, sagte sie.
Das wahrscheinlichste Szenarium war demnach, dass Aung San Suu Kyi nach Oxford zurückkehren und wieder die maßvolle akademische Bahn verfolgen würde, die sie als
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