Ilias
Schleier umhüllte das Haupt der erhabenen Göttin,
Lieblich und neu vollendet; er schimmerte hell wie die Sonne.
Unter die glänzenden Füß’ auch band sie sich stattliche Sohlen.
Als sie nunmehr vollkommen den Schmuck der Glieder geordnet,
Eilte sie aus dem Gemach und rief hervor Aphrodite,
Von den anderen Göttern entfernt; dann freundlich begann sie:
Möchtest du jetzt mir gehorchen, mein Töchterchen, was ich begehre,
Oder vielleicht es versagen, mir darum zürnend im Herzen,
Weil ich selbst die Achaier und du die Troer beschützest?
Ihr antwortete drauf die Tochter Zeus’ Aphrodite:
Here, gefeierte Göttin, erzeugt vom gewaltigen Kronos,
Rede, was du verlangst, mein Herz gebeut mir Gewährung,
Kann ich es nur gewähren und ist es selber gewährbar.
Listenreich antwortete drauf die Herrscherin Here:
Gib mir den Zauber der Lieb und Sehnsucht, welcher dir alle
Herzen der Götter bezähmt und sterblicher Erdebewohner.
Denn ich geh an die Grenzen der nahrungsprossenden Erde,
Daß ich den Vater Okeanos schau und Tethys, die Mutter,
Welche beid im Palaste mich wohl gepflegt und erzogen,
Ihnen von Rheia gebracht, da der waltende Zeus den Kronos
Unter die Erde verstieß und die Flut des verödeten Meeres.
Diese geh ich zu schaun und den heftigen Zwist zu vergleichen.
Denn schon lange Zeit vermeiden sie einer des andern
Hochzeitbett und Umarmung, getrennt durch bittere Feindschaft.
Könnt ich jenen das Herz durch freundliche Worte bewegen,
Wieder zu nahn dem Lager, gesellt zu Lieb und Umarmung,
Stets dann würd ich die teure, geehrteste Freundin genennet.
Ihr antwortete drauf die hold anlächelnde Kypris:
Nie wär’s recht noch geziemt’ es, dir jenes Wort zu verweigern,
Denn du ruhst in den Armen des hocherhabenen Kronion.
Sprach’s und löste vom Busen den wunderköstlichen Gürtel,
Buntgestickt; dort waren des Zaubers Reize versammelt.
Dort war schmachtende Lieb und Sehnsucht, dort das Getändel
Und die schmeichelnde Bitte, die selbst den Weisen betöret.
Den nun reichte sie jener und redete, also beginnend:
Da, verbirg in dem Busen den bunt durchschimmerten Gürtel,
Wo ich des Zaubers Reize versammelte. Wahrlich du kehrst nicht
Sonder Erfolg von dannen, was dir dein Herz auch begehret.
Sprach’s, da lächelte sanft die hoheitblickende Here.
Lächelnd drauf verbarg sie den Zaubergürtel im Busen;
Jene nun ging in den Saal, die Tochter Zeus’ Aphrodite.
Here voll Ungestüms entschwang sich den Höhn des Olympos,
Trat auf Pieria dann und Emathiens liebliche Felder,
Stürmete dann zu den schneeigen Höhn gaultummelnder Thraker
Über die äußersten Gipfel und nie die Erde berührend;
Schwebete dann vom Athos herab auf die Wogen des Meeres;
Lemnos erreichte sie dann, die Stadt des göttlichen Thoas.
Dort nun fand sie den Schlaf, den leiblichen Bruder des Todes,
Faßt’ ihm freundlich die Hand und redete, also beginnend:
Mächtiger Schlaf, der Menschen und ewigen Götter Beherrscher,
Wenn du je mir ein Wort vollendetest, o so gehorch auch
Jetzo mir; ich werde dir Dank es wissen auf immer.
Schnell die leuchtenden Augen Kronions unter den Wimpern
Schläfre mir ein, nachdem uns gesellt hat Lieb und Umarmung.
Deiner harrt ein Geschenk, ein schöner, unalternder Sessel,
Strahlend von Gold; ihn soll mein hinkender Sohn Hephästos
Dir bereiten mit Kunst, und ein Schemel sei unter den Füßen,
Daß du behaglich am Mahl die glänzenden Füße dir ausruhst.
Und der erquickende Schlaf antwortete, solches erwidernd:
Here, gefeierte Göttin, erzeugt vom gewaltigen Kronos,
Jeden anderen leicht der ewigwährenden Götter
Schläfert’ ich ein, ja selbst des Okeanos wallende Fluten,
Jenes Stroms, der allen Geburt verliehn und Erzeugung.
Nur nicht Zeus Kronion, dem Donnerer, wag ich zu nahen
Oder ihn einzuschläfern, wo nicht er selbst es gebietet.
Einst schon witzigten mich, o Königin, deine Befehle,
Jenes Tags, da Zeus’ hochherziger Sohn Herakles
Heim von Ilios fuhr, die Stadt in Trümmern verlassend.
Denn ich betäubte den Sinn des ägiserschütternden Gottes,
Sanft umhergeschmiegt; du aber ersannst ihm ein Unheil,
Über das Meer aufstürmend die Wut lautbrausender Winde,
Und verschlugst ihn darauf in Kos’ bevölkertes Eiland,
Weit von den Freunden entfernt. Allein der Erwachende zürnte,
Schleudernd umher die Götter im Saal; mich aber vor allen
Sucht’ er und hätt austilgend vom Äther ins Meer mich gestürzet;
Nur die Nacht, die Bändigerin der
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