Ilium
rote, nicht auf purpurne Kissen, und ich bin weiter vom Feuer entfernt als Odysseus und Ajax. Achilles ist loyal zu seinen alten Freunden, aber er weiß auch, dass er die Form wahren muss.
Patroklos bringt Weidenkörbe mit frisch gebackenem Brot herein, und Achilles streift das Fleisch von den Spießen und richtet die dampfenden Portionen auf hölzernen Platten an. »Bringen wir den Göttern ein Opfer, liebe Freunde«, sagt Achilles und nickt Patroklos zu, der die ersten Stücke als Spenden ins Feuer wirft.
»Nun lasst uns essen«, befiehlt Achilles, und wir machen uns alle eifrig über das Brot, das Fleisch und den Wein her.
Noch während ich kaue und das Essen genieße, rasen meine Gedanken: Wie stelle ich es an, die Rede zu halten, die ich halten muss, um das Schicksal aller Anwesenden, auch der Götter selbst, zu ändern? Noch vor einer Stunde schien es so einfach zu sein, aber Odysseus hat mir nicht abgenommen, dass Agamemnon mich als Gesandten mitgeschickt hat. In dem Versepos ergreift Odysseus sogleich das Wort und unterbreitet Achilles Agamemnons Angebot, dann antwortet Achilles mit der kraftvollsten und schönsten Rede in der Ilias, wie ich meinen Studenten immer erklärt habe. Anschließend hält Phönix seinen langen, dreiteiligen Monolog – zunächst seine persönliche Geschichte, dann das Gleichnis mit den Litai, den Bitten, und schließlich eine Allegorie auf Achilles’ Situation im Mythos von Meleagros –, ein Paraäeigma, in dem ein mythischer Held zu lange wartet, dargebotene Geschenke anzunehmen und für seine Freunde zu kämpfen. Alles in allem ist Phönix’ Rede das weitaus interessanteste Ersuchen der drei Gesandten, die ausgeschickt worden sind, um Achilles zu überreden. Und der Ilias zufolge sind es Phönix’ Argumente, die den zornigen Achilles dazu bewegen, von seinem Schwur, am nächsten Morgen die Heimfahrt anzutreten, Abstand zu nehmen. Wenn Ajax dann nach mir spricht, wird Achilles sich bereit erklären, noch einen Tag zu bleiben, um zu sehen, was die Trojaner tun, und, wenn nötig, seine Schiffe vor dem Feind zu beschützen.
Ich habe vor, Teile von Phönix’ langer Rede aus dem Gedächtnis wiederzugeben, dann von ihr abzuweichen und meine eigenen Vorschläge einzubauen. Aber ich sehe den finsteren Blick, mit dem Odysseus mich von der anderen Seite des Zelts aus mustert, und ich weiß, dass ich keine Gelegenheit dazu bekommen werde.
Und wenn doch? Ich habe in Betracht gezogen, dass die Götter diese Versammlung überwachen könnten – immerhin ist sie eines der Schlüsselelemente der Ilias, obwohl das vielleicht nur Zeus im Voraus weiß. Aber auch ohne dieses Vorwissen werden einige Götter und Göttinnen diese Versammlung bestimmt in ihren Videopools und auf ihren Bild-Tafeln beobachten. Zeus hat ihnen befohlen, heute nicht einzugreifen, und die meisten befolgen sein striktes Verbot, aber das wird ihre Neugier hinsichtlich der Gesandtschaft an Achilles nur noch steigern. Wenn Achilles in dieser Nacht Odysseus’ Überredungskünsten erliegt und Agamemnons Bestechungsangebot annimmt, wird Hektors Offensive scheitern, und selbst Zeus kann seinen Willen dann möglicherweise nicht durchsetzen. Achilles ist eine Einmannarmee.
Wenn ich ihn also in dieser Nacht zur Häresie anstifte, wie ich es vorhabe, wenn ich versuche, ihn zum Krieg gegen die Götter aufzustacheln, wird Zeus dann nicht sofort eingreifen und dieses Zelt samt aller Insassen vernichten? Und selbst wenn Zeus seinen Zorn im Zaum hält, kann ich mir vorstellen, dass Athene, Hera, Apollo oder eine der anderen interessierten Parteien zuschlägt und diesen … »Phönix« … tötet, weil er eine Handlungsweise vorgeschlagen hat, die ihren Zielen so abträglich ist. All dies ist mir natürlich durch den Kopf gegangen, aber ich habe darauf vertraut, dass mich das QT-Medaillon und der Hades-Helm retten werden.
Aber was nützt es, wenn ich mich wieder einmal durch Flucht rette, diese Helden jedoch am Ende getötet oder durch den Zorn der Götter von ihrem Vorhaben abgebracht werden? Dann ist der ganze Plan umsonst gewesen, und alle Götter wissen von meiner Existenz. Der Hades-Helm und das QT-Medaillon helfen mir dann auch nicht mehr – die Götter werden mich bis ans Ende der Welt jagen, ins prähistorische Indiana, wenn es sein muss. Und wie man so sagt, das war’s dann.
Vielleicht hat Odysseus mir einen Gefallen getan, indem er mich daran gehindert hat, meine Rede zu halten.
Weshalb bin ich dann hier?
Als wir
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