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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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weiterhin Homers Bericht. Zuerst redet Nestor. Er rühmt Agamemnons Mut und Klugheit, erklärt ihm jedoch im Grunde, dass es ein schwerer Fehler von ihm war, Achilles die Sklavin Briseis wegzunehmen.
    »Das ist nicht unwahr, alter Mann«, lautet Agamemnons ehrliche Antwort. »Ich war nicht bei Sinnen. Wie verblendet muss ich gewesen sein, Achilles derart zu beleidigen.«
    Der große König hält inne, aber keiner der mehreren Dutzend Ältesten, die um das zentrale Kochfeuer hocken, erhebt sich, um ihm zu widersprechen.
    »Ja, ich habe einen Fehler gemacht, ich leugne es nicht«, fährt Agamemnon fort. »Zeus liebt diesen jungen Mann so, dass er ein ganzes Bataillon wert ist … nein, ein ganzes Heer!«
    Auch diesmal widerspricht ihm keiner.
    »Und da mir mein Zorn den Verstand geraubt und mich geblendet hat, will ich es nun wieder gutmachen und Achilles mit einer königlichen Buße in die Reihen der Achäer zurückholen.«
    Hier brummen die versammelten achäischen Anführer, darunter auch Odysseus, zustimmend.
    »Vor euch allen, die ihr hier versammelt seid, nenne ich nun die herrlichen Gaben, mit denen ich die Liebe des jungen Achilles erkaufen will«, ruft Agamemnon. »Sieben Dreifußkessel, unberührt vom Feuer, zehn Talente Gold, zwanzig von Sklaven polierte, funkelnde Becken, zwölf kräftige, flinke Rosse, die mir Preise im Wettlauf gewonnen haben …«
    Und so weiter, blablabla. Genau wie Homer es beschrieben hat. Genau wie ich es Ihnen schon vorhergesagt habe. Und wie ich ebenfalls vorhergesagt habe, schwört Agamemnon, Briseis unberührt zurückzugeben, noch zwanzig Trojanerinnen draufzulegen – natürlich nachdem die Mauern von Ilium gefallen sind, so sie denn fallen. Als Tüpfelchen auf dem i gewährt er Achilles sodann die freie Auswahl unter seinen drei Töchtern, Chrysothemis, Laodike und Iphianassa – und als unverbesserlichem Scholiker fällt mir hier der Continuity-Fehler im Hinblick auf frühere und spätere Geschichten auf, insbesondere die Nichterwähnung Elektras und die mögliche Verwirrung um Iphigenies Namen, aber das ist im Moment nicht so wichtig – und gibt dann, quasi als Nachtisch, noch die »sieben wohlbevölkerten Städte« dazu.
    Und genau wie bei Homer bietet Agamemnon dies anstelle einer Entschuldigung an. »All das schenke ich ihm, sobald er seinen Zorn überwindet«, ruft der Atride seinen lauschenden Truppenführern zu. Donner grollt und Blitze flackern über ihnen, als wäre Zeus ungeduldig. »Doch Achilles muss sich mir beugen! Nur Hades, der Gott des Todes, ist so unerbittlich und hart wie dieser Emporkömmling. Achilles soll nachgeben und sich mir unterordnen! Ich bin der größere König, an Geburt der Ältere und – so behaupte ich – auch der größere Mann!«
    Tja, so viel zum Thema Entschuldigung.
    Es regnet jetzt. Ein stetiger Nieselregen, vermischt mit Zeus’ Blitzen und dem betrunkenen Geschrei von den keine hundert Meter entfernten trojanischen Linien, treibt über den mit Regenwasser gefüllten Graben und die schlammigen Mauern. Hoffentlich wird nun bald die Gesandtschaft an Achilles gewählt, damit ich mit Odysseus und Ajax den Strand entlanggehen und die Sache in Angriff nehmen kann. Dies ist die wichtigste Nacht meines Lebens – zumindest meines zweiten Lebens als Scholiker –, und ich probe immer wieder, was ich zu Achilles sagen werde.
    Wenn du unser aller Schicksal ändern willst, musst du den Angelpunkt finden.
    Ich glaube, ich habe ihn gefunden. Oder zumindest einen Angelpunkt. Jedenfalls wird für die Griechen, die Götter und Trojaner – und für mich – nichts mehr so sein wie zuvor, wenn ich meinen Plan heute Nacht in die Tat umsetze. Wenn der alte Phönix als Gesandter zu Achilles spricht, dann nicht nur, damit Achilles’ Zorn verfliegt, sondern auch, damit er mit Hektor gemeinsame Sache macht – damit sich die Griechen und Trojaner gegen die Götter selbst wenden.
    Auf einmal ruft Nestor: »Ruhmvoller Atreussohn Agamemnon, Herrscher der Männer – niemand, nicht einmal der Peleussohn Achilles, könnte solche Gaben verachten! Auf denn, lasst uns ein paar sorgfältig ausgewählte Männer mit diesen Angeboten und unserer Liebe heute Nacht zu Achilles’ Zelt entsenden. Wohlan, ich wähle sie aus, und sie mögen folgen!«
    In die Haut des alten Phönix gewandet, trete ich an den Rand des Kreises neben den großen Ajax, damit Nestor mich sieht.
    »Als Erster«, ruft Nestor, »soll der große Ajax diese Aufgabe übernehmen. Des Weiteren möge

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