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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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weindunkle Meer heimschickt, bevor dieser Krieg mit Troja beendet ist –‚ wirst du nie erfahren, ob es dir gelungen wäre, Hektor zu töten. Jetzt hast du Gelegenheit zu jener Aristie, Achilles, denn nachdem Hektor all diese Jahre unnahbar hinter den Mauern Iliums geblieben ist, wird sein Wahn ihn morgen ganz nah zu dir bringen. Bleib hier und kämpfe mit uns, edler Achilles, denn nun kannst du Hektor erstmals zu fassen bekommen.«
     
    Ich muss zugeben, Odysseus’ Rede war eine reife Leistung. Ich hätte mich vielleicht überreden lassen, wenn ich der junge Halbgott gewesen wäre, der sich keine zwei Meter von mir entfernt im Zelt auf den Kissen räkelt. Wir sitzen alle stumm da, bis Achilles seinen Weinbecher abstellt und antwortet.
     
    »Edler Laertessohn, Same des Zeus, erfindungsreicher, lieber Odysseus – ich muss euch offen und ehrlich sagen, wie ich selber denke und wie es auch sicher geschehen wird, dass ihr mir nicht immer wieder in den Ohren liegt, eine Gesandtschaft nach der anderen.
    So verhasst wie die dunklen Pforten des Hades ist mir der Mann, der das eine sagt und das andere in seinem Herzen verbirgt.«
    Ich bin verblüfft. Ist das ein Seitenhieb gegen Odysseus, den »Erfindungsreichen«, den alle Achäer als jemanden kennen, der die Wahrheit verbiegt, wenn es seinen Zwecken dient? Vielleicht, aber Odysseus reagiert auf keine Weise, deshalb bleibt Phönix’ Miene neutral.
    »Ich will es klar und deutlich sagen«, fährt Achilles fort. »Agamemnon wird mich nicht bereden mit all diesen … Geschenken.« Der Held spuckt das letzte Wort beinahe aus. »Nicht um alles in der Welt. Ebenso wenig die anderen Danaer, denn ihre Dankbarkeit ist zu gering und kommt zu spät … Wo war ihr Dank in den vielen Jahren, in denen ich unablässig ihre Feinde bekämpfte, Schlacht für Schlacht, Jahr für Jahr, Tag für Tag, ohne dass ein Ende in Sicht gewesen wäre?
    Zwölf Städte habe ich vom Schiff aus erstürmt; elf habe ich erobert, indem ich den fruchtbaren Boden der Länder Iliums mit trojanischem Blut tränkte. In allen habe ich Beute zuhauf gemacht, kostbare Kleinode und ganze Rudel weinender, schöner Frauen, und das Beste von allem habe ich stets Agamemnon gegeben – dem Atriden, der sich auf seinen schnellen Schiffen verkroch oder sich weit hinter den Linien herumdrückte. Und der nahm es alles … alles und noch mehr.
    O ja … ein paar Kleinigkeiten verteilte er an euch und die anderen Führer, aber den Löwenanteil behielt er immer für sich. Euch allen, deren Treue er als Stütze seiner Herrschaft braucht, gibt er Ehrengeschenke – nur mir nimmt er sie weg, auch die Sklavin, die meine Braut geworden wäre. Nun, zum Teufel damit, zum Teufel mit ihm und mit ihr, meine lieben Kameraden! Soll Agamemnon sich doch mit Briseis amüsieren … wenn der alte Mann dazu überhaupt noch imstande ist.«
     
    Nachdem Achilles seinem Zorn erneut Luft gemacht hat, wirft er die Frage auf, weshalb seine Myrmidonen und die Achäer und Argeier diesen Krieg überhaupt führen. »Etwa der lockigen Helena wegen?«, fragt er verächtlich, erklärt, Menelaos und sein Bruder Agamemnon seien nicht die einzigen Männer hier, denen ihre Frauen fehlen, und erinnert Odysseus an seine Gattin, Penelope, die er nunmehr schon zehn lange Jahre allein gelassen hat.
    Und ich denke ein paar Nächte zurück, an die aufrecht im Bett sitzende Helena, der das lockige Haar über die Schultern fällt, an ihre weiß im Sternenlicht schimmernden Brüste.
    Es ist schwer, Achilles Aufmerksamkeit zu schenken, obwohl diese Rede wirklich so wundervoll und überraschend ist, wie Homer sie wiedergegeben hat. In dieser kurzen Rede untergräbt Achilles eben jenen Heldenkodex, der ihn zum Superhelden macht, jenen Verhaltenskodex, der ihn in den Augen seiner Männer und der anderen Führer zu einem Gott erhebt.
    Achilles sagt, er habe nicht den Ehrgeiz, gegen den ruhmreichen Hektor zu kämpfen – weder wolle er ihn töten, noch wolle er von seiner Hand sterben.
    Achilles sagt, er werde mit seinen Männern bei Tagesanbruch in See stechen und die Achäer ihrem Schicksal überlassen – sie seien Hektors Gnade ausgeliefert, wenn der Trojaner und seine Horden morgen den Graben und den Wall überwinden.
    Achilles sagt, Agamemnon sei »hündisch« und »in Unverschämtheit gehüllt«, und er werde keine Tochter des alten Königs heiraten, selbst wenn sie so schön wäre wie Aphrodite und so geschickt wie Athene.
    Dann sagt Achilles etwas wirklich

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