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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Ufer des rauschenden Meeres entlang, und ich folge ihnen.
    Ich habe Achilles’ Zelt erwähnt, und Sie stellen sich vielleicht so etwas wie ein Campingzelt vor, das man im Garten aufbaut, aber der Segeltuchkomplex, in dem der Pelide wohnt, entspricht von der Größe her eher dem Hauptzelt eines Wanderzirkusses, an den ich mich aus meiner Kindheit erinnere … eine der ersten, allmählich wiederkehrenden Erinnerungen aus meiner Kindheit. Thomas Hockenberry hat wirklich gelebt, wie es scheint, und nach fast zehn Jahren kommen einige Erinnerungen allmählich wieder in mir hoch.
    In dieser Nacht geht es im Bereich der aberhundert Zelte und Lagerfeuer um Achilles’ Hauptzelt herum genauso chaotisch zu wie im übrigen kilometerlangen Lager der Achäer. Einige von ›Achilles‹ loyalen Myrmidonen beladen seine schwarzen Schiffe für die Abreise, andere bewachen die Wälle, um ihren Bereich des Strandes zu schützen, falls die Trojaner sich vor Tagesanbruch bis hierher durchkämpfen sollten, und wieder andere sind wie Agamemnons Truppenführer um Lagerfeuer versammelt.
    Odios und Eurybates haben den Hauptleuten der Wachmannschaften unsere Ankunft gemeldet, und Achilles’ persönliche Wachen nehmen Haltung an und lassen uns in den Innenbereich des Lagers. Wir verlassen den Strand und steigen die niedrige Düne zu der Anhöhe hinauf, wo sich Achilles’ Hauptzelt befindet. Ich folge den beiden Achäern hinein – der große Ajax zieht vor dem niedrigeren Inneneingang den Kopf ein, Odysseus, fast dreißig Zentimeter kleiner als sein Kamerad, tritt aufrecht ein. Odysseus dreht sich um und weist mir mit einem Handzeichen einen Platz im Vorraum in der Nähe des Eingangs an. Ich kann sehen und hören, was im Innern geschieht, aber ich werde nicht daran beteiligt sein, wenn ich hier bleibe.
    Genau wie Homer beschrieben hat, spielt Achilles die Leier und singt ein Versepos über alte Helden, das sich nicht sehr von der Ilias unterscheidet. Ich weiß, dass er die Leier bei der Eroberung Thebens und der Ermordung von Andromaches Vater, Eëtion, erbeutet hat. Hektors Gemahlin ist mit dem Klang dieser silbernen Leier in ihrem königlichen Heim aufgewachsen. Jetzt sitzt Patroklos, Achilles’ treuester Freund, ihm gegenüber und wartet darauf, dass Achilles seinen Teil des Liedes beendet, damit er die restlichen Zeilen singen kann.
    Achilles hört auf, das Instrument zu zupfen, und erhebt sich überrascht, als Ajax und Odysseus eintreten. Patroklos rappelt sich ebenfalls auf.
    »Seid mir gegrüßt, die ihr kommt als Freunde!«, ruft Achilles. »Euch treibt wohl die Not zu mir. Doch selbst in meinem Zorn seid ihr mir die liebsten der Achäer.«
    Er führt die beiden Gesandten zu niedrigen Sesseln und purpurnen Decken. Zu Patroklos sagt er: »Sohn des Menoitios, stell uns ein größeres Weingefäß hin. Wir mischen uns stärkeren Wein. Und gib jedem einen Becher, denn es sind meine besten Freunde, die unter mein Obdach gekommen sind.«
    Ich beobachte, wie sich diese verblüffend kultivierten Rituale heroischer Gastfreundschaft entfalten. Patroklos stellt einen schweren Hackblock ans Feuer und legt das Kammstück eines Schafes und einer Ziege neben das mit Fett marmorierte Kammstück eines Schweins. Automedon, ein Freund und Wagenlenker von Achilles wie auch von Patroklos, hält die Fleischstücke fest, während Achilles die besten Teile abschneidet, salzt und auf Spieße steckt. Patroklos schürt das Feuer, breitet dann die Kohlen aus, hängt die Spieße über den heißesten Bereich des Feuers und salzt jedes Stück noch einmal nach.
    Ich merke, dass ich völlig ausgehungert bin. Wenn ich jetzt hereingerufen würde, um zu sprechen – selbst wenn unser aller Schicksal davon abhinge –, könnte ich es nicht, weil mein Mund derart wässrig ist.
    Als hätte er mein Magenknurren gehört, schaut Achilles in den Vorraum hinaus und erstarrt beinahe vor Überraschung. »Phönix! Geehrter Mentor, edler Rosselenker! Ich dachte, du hättest in diesen letzten Wochen krank in deinem Zelt gelegen. Komm herein, komm herein!«
    Mit diesen Worten tritt der junge Held in den Vorraum heraus, umarmt mich und führt mich in das vom Feuerschein erhellte Zentrum seines Heims. In der Luft liegt nun der Geruch von bratendem Lamm und Schwein. Odysseus durchbohrt mich m it Blicken und warnt mich stumm, während des Gesprächs den Mund zu halten.
    »Nimm Platz, geliebter Phönix«, sagt Achilles, der ehemalige Schüler des alten Mannes. Aber er setzt mich auf

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