Ilium
schwarzen Schiffe bei Sonnenaufgang brennen.«
»Mag sein, dass sie brennen«, sagte Thetis. »Die heutigen Siege der Trojaner sind nur ein weiteres Zeichen von Zeus’ Launenhaftigkeit. Aber dir werden die Danaer und Achäer sogar bis zum Sieg über die Götter folgen, Achilles. Erst in dieser Nacht hat Agamemnon zu Odysseus, Nestor und den anderen um Mitternacht in seinem Lager Versammelten gesagt, er sei der bessere Mann – klüger, stärker und kühner als Achilles. Beweise ihm das Gegenteil, mein Sohn. Beweise ihnen allen das Gegenteil.«
Achilles kehrte ihr den Rücken zu. Er blickte zum fernen Ilium hinüber, auf dessen hohen Mauern helle Fackeln brannten. »Ich kann nicht gegen die Götter und die Trojaner zugleich kämpfen.«
Thetis legte ihm die Hand auf die Schulter, bis er sich umdrehte. »Du hast Recht, mein Kind, Achilles, schneller Läufer. Du musst diesen sinnlosen Krieg mit Troja beenden, der wegen Menelaos’ elender Gemahlin begonnen wurde. Wen kümmert es, wo die sterbliche Helena schläft oder ob die Atriden – Menelaos und sein arroganter Bruder Agamemnon – gehörnt werden oder nicht? Mach dem Krieg ein Ende. Schließe Frieden mit Hektor. Auch er hat heute Nacht Grund, die Götter zu hassen.«
Achilles sah Thetis fragend an, aber sie gab ihm keine weiteren Erklärungen. Er schaute wieder auf die Fackeln und die ferne Stadt. »Ich wünschte, ich könnte dem Olymp heute Nacht einen Besuch abstatten, um Athene zu töten, Zeus zu stürzen und Patroklos’ Leichnam zur Bestattung zurückzuholen.« Seine Stimme war leise, aber schrecklich in ihrer wahnsinnigen Entschlossenheit.
»Ich werde einen Mann schicken, der dir den Weg weist«, sagte Thetis.
Er fuhr zu ihr herum. »Wann?«
»Morgen, nachdem du mit Hektor gesprochen, einen Bund mit den kämpfenden Trojanern geschmiedet und dem Blender Agamemnon die Herrschaft über die Argeier und Achäer abgenommen hast.«
Achilles blinzelte, so atemberaubend kühn waren diese Worte. »Wie soll ich Hektor finden, ohne dass er mich tötet oder ich ihn?«
»Ich schicke dir einen Mann, der dir auch dazu den Weg weist.« Thetis trat zurück. In der frühen Morgendämmerung spülte die Brandung von hinten gegen ihre Beine.
»Mutter, bleib! Ich …«
»Ich begebe mich jetzt in die Hallen von Vater Zeus, um mich meinem Schicksal zu stellen«, flüsterte seine Mutter. Ihre Stimme ging beinahe in der zischenden Brandung unter. »Ich werde mich ein letztes Mal für dich einsetzen, mein Sohn, aber ich fürchte, Misserfolg und Verbannung werden mein Los sein. Sei kühn, Achilles! Sei tapfer! Dein Schicksal ist vorherbestimmt, aber nicht besiegelt. Du hast immer noch die Wahl: entweder Tod und Ruhm oder ein langes Leben, aber auch Leben und Ruhm … und welch ein Ruhm, Achilles! Kein Sterblicher hat je von solchem Ruhm geträumt! Räche Patroklos.«
»Mutter …«
»Die Götter können sterben, mein Kind. Die … Götter … können … sterben.« Ihre Gestalt waberte, verwandelte sich, wurde zu Nebel und verschwand.
Achilles stand da und starrte lange aufs Meer hinaus. So stand er da, bis das kalte Licht der Morgendämmerung von Osten herankroch, dann drehte er sich um, legte seine Kleider und Sandalen, seine Rüstung und seine Beinschienen an, hob seinen großen Schild auf, steckte das Schwert in die Scheide an seinem Schwertgürtel, nahm seine Lanze und machte sich auf den Weg zu Agamemnons Lager.
Nach dieser schauspielerischen Glanzleistung breche ich zusammen. Während des gesamten Dialogs hat mir mein Morpharmband mit seiner KI-Stimme ins Ohr gepiepst: »Restlicher Energievorrat: zehn Minuten bis zur Abschaltung. Restlicher Energievorrat: sechs Minuten bis …« Und so weiter.
Die Energie der Morphausrüstung ist beinahe erschöpft, und ich habe keine Ahnung, wie ich sie wieder aufladen kann. Mir bleiben noch knapp drei Minuten Morphzeit, aber die werde ich brauchen, um Hektors Familie zu besuchen.
Du kannst kein Kind entführen, meldet sich eine immer leiser werdende Stimme, der letzte Überrest meines Gewissens. Ich muss, lautet meine einzige Antwort darauf.
Ich muss.
Für mich gibt es jetzt kein Zurück mehr. Ich habe alles durchdacht. Patroklos war der verborgene Schlüssel zu Achilles. Skamandrios und Andromache – Hektors Sohn und Gattin – sind der verborgene Schlüssel, mit dem ich Hektors Kehrtwende bewerkstelligen kann. Nur so geht es.
Wer A sagt, muss auch B sagen.
Als ich zuvor mit dem bewusstlosen Patroklos in den Armen auf
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