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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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»Folgen sie uns nicht?«, fragte er.
    »Ins Becken?«, sagte Savi. »Ganz bestimmt nicht.« Sie bremste den Crawler auf eine vernünftigere Geschwindigkeit ab, doch bevor sie ihre Brille aufsetzte und das Licht ausschaltete, sah Daeman, dass sie auf einer ebenen roten Lehmstraße zwischen grünen, bebauten Felder hindurchfuhren. Schwarze Metallkreuze ragten über den Weizen, den Mais, die Sonnenblumen und den Flachs dort draußen im Dunkeln auf, und an jedes Kreuz war ein bleicher, verkrümmter, nackter menschlicher Körper genagelt.
     

34
Küste von Ilium, Indiana
    Achilles tobte, brüllte und zerrte an der Zeltwand, wo die Göttin Athene mit Patroklos’ Körper verschwunden war. Dann rastete der Männertöter vollständig aus.
    Seine Wachen kamen hereingeeilt. Immer noch nackt, hob Achilles den ersten Mann hoch und warf ihn dem zweiten an den Kopf. Der dritte hörte ein Brüllen, und ehe er sich’s versah, flog er ebenfalls durch die Luft und zerriss die Segeltuchwand des Zelts. Der vierte warf seine Lanze weg und rannte davon, um die Myrmidonen zu wecken und ihnen mitzuteilen, dass ihr Herrscher und Führer von einem Dämon besessen war.
    Achilles sammelte seinen Lendenschurz, Chiton, Brustharnisch und Schild sowie seine polierten Beinschienen, Sandalen und seinen Speer auf, wickelte alles in ein Leintuch, nahm sein Schwert und schnitt sich seinen Weg durch drei Segeltuchwände des Zelts. Draußen stieß er den großen, noch brennenden Dreifußkessel in der Mitte des Lagers um und lief an den dunklen Zelten vorbei zum dunklen Meer, fort von all den Lagerstätten der Menschen, zu seiner Mutter, der Göttin Thetis.
    Die Wellen brachen sich rauschend am Ufer; hier im Dunkeln, fern von den Feuern, war nur die weiße Gischt zu sehen. Achilles lief auf dem nassen Sand hin und her. Er war immer noch nackt; seine Rüstung und seine Waffen lagen verstreut am Strand. Während er auf und ab marschierte, raufte er sich die Haare, stöhnte laut und rief hin und wieder gequält den Namen seiner Mutter.
    Und Thetis, die Tochter des Meeresgottes Nereus, des Alten im Meere, erhörte Achilles’ Ruf, erschien aus den salzgrünen Tiefen, erhob sich aus der rollenden Brandung wie ein Nebel, der dann jedoch zur hoch gewachsenen Gestalt der edlen Göttin gerann. Achilles lief zu ihr wie ein Kind, das sich wehgetan hatte, und fiel im nassen Sand auf ein Knie. Thetis barg seinen Kopf an ihrer nassen Brust, während er schluchzte.
    »Weshalb weinst du, mein Kind? Welcher Kummer erfüllt dein Herz?«
    Achilles stöhnte. »Du weißt es, Mutter, du musst es wissen – zwing mich nicht, alles noch einmal zu erzählen.«
    »Ich war bei meinem Vater in den salzgrünen Tiefen«, sagte Thetis leise und strich Achilles über das lange goldene Haar. »Weil die Sterblichen und die Götter so lange schliefen, habe ich nicht gesehen, was geschehen ist. Erzähl mir alles, mein Sohn.«
    Und das tat Achilles, vor Kummer schluchzend, mit zornerstickter Stimme. Er erzählte ihr von Pallas Athenes Erscheinen, von ihren Beleidigungen und ihren höhnischen Bemerkungen. Er schilderte ihr die vermeintliche Tötung seines Freundes Patroklos. »Sie hat seinen Leichnam mitgenommen, Mutter!«, weinte Achilles. Er war untröstlich. »Sie hat seinen Leichnam mitgenommen, sodass ich nicht einmal die gebührenden Bestattungsriten für ihn abhalten kann!«
    Thetis klopfte ihm auf die Schulter und brach selbst in Tränen aus. »O mein Sohn, meine Kümmernis! Deine Geburt war bitter. Nichts als Verderben habe ich zur Welt gebracht. Wozu habe ich dich großgezogen, wenn es Zeus’ Wille ist, dich niederzuwerfen?«
    Achilles hob sein tränenverschmiertes Gesicht. »Dann ist es also Zeus’ Wille? Es war Pallas Athene, die soeben Patroklos getötet hat – kein Trugbild der Göttin?«
    »Es war Zeus’ Wille«, weinte seine Mutter. »Und obwohl ich es nicht gesehen habe, weiß ich, dass es die Göttin Athene selbst war, die dich heute Nacht verhöhnt und deinen Freund getötet hat. Ach, welch ein Jammer, dass du nicht nur zu einem kurzen Leben verdammt bist, Achilles, mein Sohn, sondern auch zu einem, das mit solchem Herzeleid erfüllt ist.«
    Achilles löste sich von ihr und stand auf. »Warum haben die unsterblichen Götter mich derart beleidigt, Mutter? Weshalb sollte Athene, die so viele Jahre die Sache der Argeier unterstützt hat – und besonders meine –‚ sich nun von mir abwenden?«
    »Die Götter sind launisch«, sagte Thetis. Immer noch lief ihr Wasser

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