Ilium
Stunde.
»Und wenn Achilles nicht mitkommen will?«, frage ich.
Der kollektive Blick, mit dem die Frauen mich nun bedenken, besteht aus vier Teilen Verachtung und drei Teilen Mitleid.
Ich verschwinde per QT, so schnell ich kann.
Ich sollte es nicht tun, es ist töricht, und ich mache es hauptsächlich, weil ich Angst davor habe, Achilles gegenüberzutreten, aber während des gesamten mündlichen Verhörs durch Kassandra hat mich der kleine Roboter auf dem Olymp beschäftigt. Ich habe natürlich auch früher schon seltsame Dinge auf dem Olymp gesehen – die Götter und Göttinnen, die unheimlich genug sind, nicht mitgerechnet –, seltsame Dinge wie den riesigen insektoiden Heiler. Aber etwas an dem kleinen Roboter, falls er einer ist, war mir aufgefallen. Er schien zu keiner der Welten zu gehören, zwischen denen ich meine Zeit in den letzten neun Jahren aufgeteilt habe, weder zum Olymp noch zu Ilium. Der kleine Roboter schien eher aus meiner Welt zu kommen. Meiner alten Welt. Der echten Welt. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich habe noch nie einen humanoiden Roboter gesehen, außer in Sci-Fi-Filmen.
Außerdem, sage ich mir, habe ich noch eine Stunde Zeit, bevor ich Achilles mit Hektor zusammenbringen muss. Ich setze den Hades-Helm auf und quantenteleportiere zurück in die große Halle der Götter.
Der kleine Roboter und die anderen Geräte, darunter das große Krebsding, sind fort, aber Zeus ist noch da. Ebenso wie andere Götter. Darunter auch der Kriegsgott Ares, den ich zuletzt im Genesungsbottich neben dem von Aphrodite gesehen habe.
Heilige Mutter Gottes, wo ist Aphrodite jetzt? Sie kann mich sehen, auch wenn ich diesen Helm trage. Sie hat der Muse nur aufgetragen, mir den Helm zu geben, weil sie mich jederzeit aufspüren kann, wenn sie will. Ist sie schon aus dem Bottich heraus? Herr im Himmel!
Ares brüllt auf sämtliche Götter ein, während Zeus auf seinem Thron sitzt. »Dort unten regiert der Wahnsinn!«, schreit der Kriegsgott. »Ich bin ein paar Tage fort, und ihr lasst zu, dass der Krieg außer Kontrolle gerät. Das Chaos herrscht! Achilles hat Agamemnon getötet und den Befehl über die achäischen Truppen übernommen. Hektor hat den Rückzug angetreten, obwohl der königliche Zeus den Sieg der Trojaner befohlen hatte.«
Agamemnon tot? Achilles der neue Führer? Heilige Scheiße. Wir sind nicht mehr in der Ilias, Toto.
»Und was ist mit den Automaten, die ich zu dir gebracht habe, Vater Zeus? Diesen … Moravecs?«, fragt Apollo. Seine Stimme hallt durch den riesigen Saal. Ich sehe weitere Götter und Göttinnen auf den Zwischengeschossen über uns. Auf dem in den Boden eingelassenen Swimmingpool-Bildschirm spielen sich wahnwitzige Szenen von Mord und Totschlag in den trojanischen Schlachtlinien und im Lager der Argeier ab. Aber mein Blick ruht auf dem riesigen, kräftig gebauten, weißbärtigen Zeus auf seinem goldenen Thron. Seine Handgelenke sind so massiv, als hätte Rodin sie aus Carrara-Marmor gehauen. Ich bin nah genug, um die grauen Haare auf Zeus’ bloßer Brust zu sehen.
»Beruhige dich, Apollo, edler Bogenschütze«, dröhnt der Gott aller Götter. »Ich habe befohlen, die Moravec-Automaten zu eliminieren. Hera hat sie inzwischen beide vernichtet.«
Kann es noch schlimmer kommen?, frage ich mich.
In diesem Moment betritt Aphrodite die Halle, flankiert von Achilles’ Mutter, Thetis, und meiner Muse.
40
Äquatorialring
Daeman schrie während des ganzen Fluges.
Savi und Harman hatten vielleicht auch geschrien – sie hätten jedenfalls schreien müssen –‚ aber Daeman hörte nur seine eigenen Schreie. Sobald ihre Stühle senkrecht in die Höhe schossen und sich dann, um ihre Blitzachse kreisend, allmählich neigten – Daeman mit dem Gesicht nach unten, dreitausend Meter über dem grünen Mittelmeerbecken, in einem fort schreiend –, machten ihm zwei große Beschränkungen zu schaffen: einmal der Beschleunigungsdruck, dann jedoch auch ein konstanter, allseitiger Druck, bei dem es sich um irgendein Kraftfeld handeln musste. Es hielt ihn nicht nur auf den roten Polstern seines dahinsausenden Stuhls fest, sondern drückte auf sein Gesicht und seine Brust, presste sich in seinen Mund und seine Lungen.
Daeman schrie trotzdem.
Die drei Stühle kreisten weiterhin gegen den Uhrzeigersinn um den dicken Strahl aus weißer Energie, und auf einmal schaute Daeman nach oben, zu den Sternen und den Ringen. Er schrie weiter, weil er wusste, dass der Stuhl weiter kreisen würde,
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