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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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überhaupt nicht schwer. Für Daeman fühlte es sich so an, als würde er sich durch eine nachgiebige Membran drängen oder vielleicht durch einen warmen Wasserfall schwimmen.
    Schwimmen. In Luft. Selbst nachdem er das eine halbe Stunde lang getan hatte, kam es Daeman überaus seltsam vor. Zuerst ruderte er mit beiden Armen und stieß fast aufs Geratewohl mit den Beinen aus, aber diese Anstrengungen brachten ihn so gut wie gar nicht voran und bewirkten nur, dass er Purzelbäume schlug, aber dann lernte er den Trick, sich von einem festen Gegenstand zum nächsten abzustoßen, selbst über Entfernungen von dreißig Metern und mehr hinweg, wobei er sich mit den Beinen antrieb und mit den gewölbten Händen unterwegs geringfügige Kurskorrekturen vornahm.
    Alle Gebäude schienen innerlich miteinander verbunden zu sein, und was bei ihrem Anflug wie helle Innenbeleuchtung ausgesehen hatte, erwies sich als Illusion. Die Fenster leuchteten warm, aber es waren die Fenster, die das Licht ausstrahlten. Die riesigen Innenräume – der erste, in den sie hineinschwebten, nachdem sie aus der weißen Wand herausgekommen waren, hatte einen Durchmesser von hundert bis hundertzwanzig Metern und war mindestens dreihundert Meter hoch, und an drei Seiten des säulenförmigen Raums stiegen offene Terrassen empor – wurden alle vom orangefarbenen Lichtschein der Fenster in den Wänden in eine matte Helligkeit getaucht, und Daeman hatte das Gefühl, tief unter Wasser zu sein. Diese Illusion wurde noch durch diverse ungepflegte Pflanzen verstärkt, die zwölf bis fünfzehn Meter hoch gewachsen waren und wie Seetang in der leichten Brise schwankten.
    Daeman merkte, wie dünn die Atmosphäre war, als er durch die Überreste der Luft zu schwimmen versuchte. Und obwohl die Thermohaut sämtliche freiliegende Haut bedeckte und seine gesamte Körperwärme bewahrte, spürte er trotzdem die eisige Kälte jenseits der Molekularschicht. Er sah auch ihre Auswirkungen, denn die Innenflächen aus Glas waren von einem dünnen Eisfilm und hin und wieder von Ansammlungen frei schwebender Eiskristalle überzogen, die das Licht einfingen wie der Staub in den Lichtsäulen im Innern von Kathedralen.
    Schon nach fünf Minuten ihrer Luftschwimmreise durch die miteinander verbundenen Asteroidengebäude stießen sie auf die ersten Leichen.
    Die Oberfläche unter ihnen war mit Gras und irdischen Pflanzen, aber auch mit Bäumen, Pflanzen und Blumen bedeckt, die Daeman auf der Erde noch nie gesehen hatte. Bis auf die schwankenden Tangtürme waren sie jedoch alle eingegangen. Während die Oberfläche wie ein Park angelegt gewesen war, zeigten offene Balkone an Metallsäulen sowie Speiseräume und Versammlungsbereiche, die an Wand- und Fensterflächen hingen, wie gering die Kraftfeldgravitation gewesen sein musste. Die Nachmenschen hatten sich offenbar vom »Boden« abstoßen und dreißig Meter und mehr senkrecht in die Luft emporsteigen können, bevor sie eine weitere offene Plattform oder ein Sprungbrett hoch oben in der Luft benötigten, um sich erneut abzustoßen. Auf vielen dieser Plattformen sahen sie noch mit Raureif überzogene Tische, umgestürzte Stühle, klobige Sofas und freistehende Gobelins.
    Und Leichen.
    Savi stieß sich zu einer Terrasse mit einem Durchmesser von rund dreißig Metern hinauf. Früher einmal hatte sie sich offenbar über einem schmalen Wasserfall befunden; jetzt jedoch war der von einem Balkon rund hundertfünfzig Meter weiter oben an der Permbetonwand herabstürzende Wasserfall zu einem fragilen Gitterwerk aus Eis gefroren, und im Essbereich schwebten überall Leichen.
    Weibliche Leichen. Es waren samt und sonders Frauen, obwohl diese grauen Gestalten eher ledrigen Mumien ähnelten als irgendetwas Männlichem oder Weiblichem.
    Es gab nur wenig Verwesung im eigentlichen Sinn, aber die Auswirkungen extremer Kälte und abnehmenden Luftdrucks hatten die Toten über Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte gefriergetrocknet. Als Daeman näher an die erste Ansammlung von Leichen heranschwebte – in der Schwerelosigkeit hingen sie alle einfach in der Luft, hatten sich jedoch in den Maschen eines ehemals dekorativen Netzes zwischen dem Essbereich und dem Wasserfall verfangen –, gelangte er zu dem Schluss, dass es Jahrhunderte und nicht nur Jahrzehnte her sein musste, dass diese Frauen in der geringen Schwerkraft – wahrscheinlich nur ein Zehntel der Erdschwerkraft, wie Savi meinte – geatmet, sich zu Fuß oder durch die Luft von hier nach dort

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