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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sein. Es ist … war ihm bestimmt, mit seinem Sohn, Askanios, und einem Häuflein von Trojanern aus der brennenden Stadt zu entkommen. Ihre Nachfahren werden irgendwann eine Stadt gründen, das spätere Rom. Vergil zufolge wird Äneas …«
    »Bleiben wir lieber in der Gegenwart«, unterbrach ihn Mahnmut. »Wie Hockenberry sagt, ist jetzt alles wieder offen. Ich glaube nicht, dass die Griechen und Trojaner in dieser Ilias, die du mir heraufgeladen hast, irgendwann einmal Bundesgenossen in einem zum Scheitern verurteilten Kreuzzug gegen den Olymp werden.«
    »Nein«, gestand Orphu. »Wer steht noch neben Hektor, außer Äneas, Paris, dem alten Priamos und Antenor?«
    »Othryoneus ist da. Kassandras Freier.«
    »Mein Gott. Othryoneus hätte heute Abend oder morgen von Idomeneus getötet werden sollen. Im Kampf um die griechischen Schiffe.«
    »Alles ist wieder offen«, wiederholte Mahnmut. »Sieht so aus, als gäbe es heute Nacht keinen Kampf um die Schiffe.«
    »Wer noch?«
    »Deiphobos, ein weiterer Sohn des Priamos. Seine polierte Rüstung glänzt derart, dass ich mehr Polarisationsfilter vorschalten muss, wenn ich ihn nur ansehe. Neben Deiphobos steht dieser Bursche aus Pedaion, Priamos’ Schwiegersohn, wie heißt er noch gleich … Imbrios.«
    »O je«, sagte Orphu. »Imbrius sollte eigentlich in ein paar Stunden von Teukros getötet werden …«
    »Hör auf damit! Sonst hört dich noch jemand.«
    »Auf Engstrahl oder K-Link?«, sagte Orphu mit rumpelndem Gelächter. »Eher unwahrscheinlich, alter Freund. Außer diese Griechen und Trojaner haben ein bisschen mehr Technik, als du mir erzählt hast.«
    »Es ist einfach beunruhigend«, meinte der kleinere Moravec. »Die Hälfte der Leute, die da oben auf dem Hügel Batieía steht, müsste deiner blöden Ilias zufolge in ein oder zwei Tagen tot sein.«
    »Es ist nicht meine blöde Ilias«, rumpelte Orphu. »Und außerdem …«
    »Ist alles wieder offen«, beendete Mahnmut den Satz. »Oh – oh.«
    »Was ist?«
    »Hörst du das?«, sagte Mahnmut nach Luft schnappend.
    »Nein«, sagte Orphu.
    »Entschuldige, entschuldige. Tut mir Leid. Das war nicht wörtlich gemeint. Ich meinte nur … meinte nur …«
    »Nun komm schon«, fauchte der Ionier. »Was habe ich nicht gehört?«
    »Die Heere – das griechische und das trojanische – sind in Hurrageschrei ausgebrochen. Guter Gott, was für ein überwältigendes Geräusch. Hunderttausende von Achäern und Trojanern, alle zusammen – sie jubeln, schwenken Fahnen, recken ihre Schwerter und Speere und Banner in die Luft … die jubelnde und schreiende Menge erstreckt sich bis an die Mauern von Ilium. Und die Menschen auf den Mauern dort – ich sehe Andromache und Helena und die anderen Frauen, die Hockenberry mir gezeigt hat – schreien auch alle. Die anderen Achäer – diejenigen, die noch unentschlossen waren und bei ihren Schiffen gewartet haben – sie sind zu den griechischen Gräben gekommen und jubeln und schreien jetzt auch. Was für ein Lärm!«
    »Also, du brauchst nicht auch noch zu schreien«, sagte Orphu trocken. »Das K-Link funktioniert hervorragend. Was geschieht jetzt?«
    »Tja … nicht viel«, sagte Mahnmut. »Die Führer schütteln sich überall auf dem Hügel die Hände und quetschen sich die Unterarme. In der ummauerten Stadt ertönen Glocken- und Gongschläge. Die Truppen kommen in Bewegung – reguläre Fußsoldaten beider Seiten durchqueren das Niemandsland, klopfen einander auf die Schultern und tauschen Namen oder sonstwas aus – und alle sehen sie aus, als wären sie kampfbereit, aber …«
    »Aber niemand kämpft«, sagte Orphu.
    »Genau.«
    »Vielleicht kommen die Götter nicht herab, um sich zum Kampf zu stellen«, sagte der Ionier.
    »Das bezweifle ich.«
    »Oder vielleicht zerreißt der Apparat den Olymp in eine Milliarde Stücke.«
    Mahnmut dachte schweigend darüber nach. Er hatte die Götter und Göttinnen da oben gesehen, Tausende empfindungsfähiger Wesen, und er verspürte nicht den Wunsch, zum Massenmörder zu werden.
    »Wie lange dauert es noch, bis dein selbst gebastelter Zeitschalter den Apparat aktiviert?«, fragte Orphu, obwohl er es selbst wissen musste.
    Mahnmut schaute auf sein inneres Chronometer. »Vierundfünfzig Minuten«, sagte er.
    Über ihnen brodelten und kochten auf einmal dunkle Wolken. Anscheinend kamen die Götter nun doch herab.
     
    Als Mahnmut in den Caldera-See auf dem Gipfel des Olympus Mons getaucht war, hatte er kaum Hoffnung gehabt, entkommen zu können.

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