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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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spielen.
    Aus und vorbei. Papa hat mir mein Spielzeug weggenommen. Und Papa ist böse.
    Ich erinnere mich an Mahnmuts Bombe und hebe aus alter Gewohnheit mein bloßes Handgelenk, um auf die Uhr zu schauen. Verdammt. Selbst die ist weg. Aber es kann nur noch ein paar Minuten dauern, bis der Apparat des Roboters detoniert. Ich beuge mich übers Balkongeländer, aber da diese Seite des Gebäudes vom Caldera-See abgewandt ist, werde ich den Blitz wohl nicht sehen. Wird die Stoßwelle dieses Gebäude vom Gipfel des Olymps schleudern oder es nur in Brand setzen? Eine neue Erinnerung kommt nach oben – Fernsehbilder todgeweihter Männer und Frauen, die von brennenden Hochhaustürmen in New York springen –, und ich schließe die Augen und drücke die Hände im vergeblichen Versuch an die Schläfen, diese ungebetenen Bilder loszuwerden. Dadurch werden sie nur noch lebendiger. Zum Teufel, denke ich, wenn sie mich noch ein paar Wochen am Leben gelassen hätten – wenn ich mich am Leben gelassen hätte, statt mit meinen Spielsachen und dem Schicksal so vieler Menschen herumzupfuschen –‚ hätte ich mich vielleicht an mein ganzes früheres Leben erinnert. Vielleicht sogar an meinen Tod.
    Die Tür hinter mir schlägt krachend auf, und Zeus kommt herein. Er ist allein. Ich drehe mich zu ihm um und kehre in den kahlen Raum zurück.
    Möchten Sie ein Rezept für den Verlust jeder Selbstachtung? Treten Sie nackt und barfuß dem Gott der Götter gegenüber, der hohe Stiefel, goldene Beinschienen und eine komplette Kampfrüstung trägt. Und zu dieser offensichtlichen Ungleichheit kommt noch die Sache mit der Größe. Ich meine, ich bin eins zweiundachtzig – nicht »klein«, wie ich den Leuten, auch meiner Frau, Susan, immer wieder erklärt habe, sondern »von durchschnittlicher Größe« –, und Zeus ist an diesem Nachmittag bestimmt viereinhalb Meter groß. Die verdammte Tür wäre bestens geeignet für Basketballstars, die andere Basketballstars auf ihren Schultern tragen, aber Zeus musste den Kopf einziehen, als er hereinkam. Er schlägt die Tür hinter sich zu, und ich sehe, dass er noch immer mein QT-Medaillon in seiner mächtigen Hand hält.
    »Scholiker Hockenberry«, sagt er auf Englisch, »weißt du eigentlich, was für Probleme du hier verursacht hast?«
    Ich versuche, einen trotzigen Blick aufzusetzen, begnüge mich dann aber damit zu verhindern, dass meine nackten Beinen haltlos zittern. Ich merke, wie mein Penis und mein Hodensack vor Kälte und Angst zu einer Knospe und einem Beutel mit zwei Murmeln zusammenschrumpeln.
    Als würde er das bemerken, mustert Zeus mich von Kopf bis Fuß. »Mein Gott, ihr Altmenschen wart wirklich ein hässlicher Anblick«, dröhnt er. »Wie kann man so dürr sein, dass die Rippen hervorstehen, und trotzdem eine Wampe haben?«
    Ich erinnere mich, dass Susan immer gesagt hat, ich hätte einen Po wie zwei Mäuseköttel, aber sie sagte es voller Zuneigung.
    »Woher könnt Ihr Englisch?«, frage ich mit zitternder Stimme.
    » HALT DEN MUND! «, brüllt der Göttervater.
    Zeus bedeutet mir mit einer schroffen Geste, auf den Balkon zu treten, und folgt mir hinaus. Er ist so groß, dass hier draußen kaum noch Platz genug für mich ist. Ich weiche in eine Ecke zurück und bemühe mich, den Blick nicht zu senken. Der zornige Gott der Götter brauchte mich jetzt bloß mit einer Hand hochzuheben und übers Geländer zu schmeißen, um seine Rache zu nehmen. Ich würde auf dem Weg nach unten fünf Minuten lang zappeln und schreien.
    »Du hast meine Tochter verletzt«, knurrt Zeus.
    Welche?, denke ich verzweifelt. Ich bin schuldig, den Tod von Aphrodite und Athene geplant zu haben, aber ich vermute, dass er von Athene spricht. Er hat Athene immer gern gehabt, auch wenn das wohl keine Rolle spielt. Der Plan, einen Gott zu verletzen – und erst recht, die Götter insgesamt zu stürzen –, ist garantiert ein Kapitalverbrechen. Ich schaue wieder übers Geländer und sehe die gläserne Rolltreppe, die sich direkt unter mir in den Nebel auf Meereshöhe hinabschlängelt. Meine alte, bis auf die Grundmauern niedergebrannte Scholikerkaserne ist zu klein, als dass man sie mit normalem Sehvermögen ausmachen könnte. Guter Gott, das ist ein langer Weg nach unten.
    »Weißt du, was heute geschehen wird, Hockenberry?«, fragt Zeus, aber das ist wohl eine rhetorische Frage. Er streckt die Hände nach unten und legt die Finger – jeder halb so lang wie mein Unterarm – auf das steinerne

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