Ilium
Der Lichtschein der virtuellen Steuertafel wurde schwächer.
»Harman!«, rief Daeman aus den Schatten. »In diesem Tank ist Hannah!«
56
Die Ebene von Ilium
»Ich muss mich auf die Suche nach Achilles und Hektor machen«, sagte Mahnmut zu Orphu. »Ich werde dich hier auf dem Batieía zurücklassen müssen.«
»Klar. Warum nicht? Vielleicht halten die Götter mich irrtümlich für einen grauen Felsbrocken und werfen keine Bomben auf mich. Aber tust du mir zwei Gefallen?«
»Natürlich.«
»Erstens, bleib per Engstrahl in Kontakt mit mir. Ich fühle mich irgendwie einsam hier im Dunkeln, wenn ich nicht weiß, was da draußen vorgeht. Vor allem, wenn wir nur noch ein paar Minuten haben, bis sich der Apparat aktiviert.«
»In Ordnung.«
»Zweitens, binde mich fest, ja? Nicht dass mir dieses Schwebegeschirr-Zeug nicht gefällt – obwohl ich ums Verrecken nicht herausfinden kann, wie es funktioniert –, aber ich will nicht, dass der Wind mich wieder ins Meer weht.«
»Schon geschehen. Ich habe dich an den größten Stein auf dem Grabmal der sprunggeübten Amazone Myrine hier oben auf dem Hügel gebunden.«
»Prima«, sagte Orphu. »Ach übrigens, hast du eine Ahnung, wer diese sprunggeübte Amazone Myrine war und weshalb sie hier draußen vor Iliums Mauern ein Grabmal hat?«
»Nicht die geringste«, sagte Mahnmut. Er ließ seinen Freund zurück und machte sich auf allen vieren auf den Weg über die Ebene von Ilium zum Lager der Achäer, wobei er ein paar neugierige Blicke von den durcheinander wuselnden Griechen erntete.
Er brauchte den Strand nicht nach Achilles und Hektor abzusuchen. Die beiden Helden hatten soeben die Brücke über den Graben überquert und führten ihre Hauptleute und zwei- bis dreitausend Kämpfer zur Mitte des alten Schlachtfelds. Mahnmut beschloss, die Form zu wahren, und erhob sich zur Begrüßung auf seine Hinterbeine.
»Kleine Maschine«, sagte Achilles, »wo ist dein Herr, der Sohn des Duane?«
Mahnmut brauchte eine Sekunde, um das zu verarbeiten. »Hockenberry?«, sagte er schließlich. »Zunächst einmal ist er nicht mein Herr. Kein Mensch ist mein Herr, und ich bin kein Mensch. Zweitens hat er sich zum Olymp begeben, um herauszufinden, was die Götter im Schilde führen. Er hat gesagt, er käme gleich zurück.«
Achilles lächelte und zeigte dabei seine weißen Zähne. »Gut. Wir brauchen Informationen über den Feind.«
Odysseus, der zwischen Hektor und Achilles stand, sagte: »Für Dolon ist es nicht allzu gut ausgegangen.« Hinter den Helden lachte Diomedes. Hektor machte ein finsteres Gesicht.
Vergangene Nacht, als die Dinge so schlecht für die Griechen standen, war Dolon Hektors Späher, sendete Orphu. Obwohl Mahnmut nach dem Download von Orphu jetzt Griechisch verstand und es auch sprechen konnte, übermittelte er seinem Freund nach wie vor stimmlos den gesamten Dialog. Orphus Botschaft war noch nicht zu Ende. Diomedes und Odysseus haben Dolon erwischt, als sie zu einem nächtlichen Überfall unterwegs waren. Sie versprachen dem Trojaner, dass sie ihm nichts zuleide tun würden, und bekamen alle gewünschten Informationen von ihm. Dann hackte Diomedes ihm den Kopf ab. Ich glaube, Diomedes hat das erwähnt, weil er Hektor als Verbündetem immer noch nicht richtig traut und…
»Spar dir das für später auf.« Mahnmut vergaß, stimmlos zu sprechen. Er wechselte die Frequenz. Ich muss mich hier konzentrieren. Mahnmut war zwar der Ansicht, dass er wie jeder andere Moravec mehrere Aufgaben zugleich bewältigen konnte, aber Orphus Geschichtsunterricht störte seine Echtzeit-Konzentration.
»Was hast du gerade gesagt?«, wollte Hektor wissen. Der trojanische Held wirkte alles andere als glücklich. Mahnmut rief sich ins Gedächtnis, dass die Mutter und die Halbschwester des Mannes gerade bei dem Luftangriff ums Leben gekommen waren, aber er war nicht sicher, dass Hektor es schon wusste. Vielleicht war er einfach nur schlecht gelaunt.
»Nur ein kurzes Gebet zu meinen Göttern«, sagte Mahnmut.
Odysseus hatte sich auf ein Knie niedergelassen und betastete Mahnmuts Arme, Rumpf, Kopf und schützende Ummantelung. »Sehr einfallsreich«, sagte der Sohn des Laertes. »Welcher Gott euch auch geschaffen hat, er hat gute Arbeit geleistet.«
»Vielen Dank«, sagte Mahnmut.
Ich glaube, du bist in ein Stück von Samuel Beckett geraten, sendete Orphu.
»Halt den Mund«, sagte und sendete Mahnmut auf Englisch. »Verdammt, ich vergesse dauernd, den Engstrahl nur auf stimmlose
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