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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sehen, als dieser Mist angefangen hat« sagte er. »Es kann nicht viel länger als zwanzig Minuten her sein. Wenn die Erde wieder erscheint…«
    In den unteren Scheiben kam der blau-weiße Rand des Planeten in Sicht. »Wir müssen aufbrechen«, sagte Daeman. Im Dunkeln hinter ihnen ertönten weitere krachende und schleifende Geräusche. Daeman fuhr mit hoch erhobener Schusswaffe herum, aber Caliban kam nicht heraus. Die Schwerkraft in der Klinik ließ jetzt ebenfalls nach; Pfützen stiegen vom Boden empor, schwebten in der Luft und wandelten sich zu amöbenhaften Formen, die Kugelgestalt anzunehmen versuchten. Überall waren glatte Flächen, die das Licht von Savis Taschenlampe zurückwarfen.
    »Und wie machen wir das?«, fragte Harman. »Wollen wir sie etwa hier lassen?« Hannahs Lider waren nicht ganz geschlossen, aber sie konnten nur das Weiße ihrer Augen sehen. Ihr Zittern ließ nach, aber das schien Daeman nichts Gutes zu bedeuten.
    Daeman hatte seine Maske aufgesetzt – in der Klinik gab es gerade genug Luft, dass sie atmen konnten, obwohl es immer noch wie in einer Kühlhalle roch, in der vor Tagen der Strom ausgefallen war – und rieb sich nun den Bart. »Mit nur zwei Thermohäuten können wir sie nicht zum Sonie bringen. Sie würde in der Stadt erfrieren, und im Weltraum erst recht.«
    »Das Sonie hat ein Kraftfeld und eine Heizung«, flüsterte Harman. »Savi hat sie eingeschaltet, als wir in großer Höhe geflogen sind.« Er hatte die Maske wieder hochgezogen, und sein Atem kondensierte in der kalten Luft. In seinem Bart und Schnurrbart waren Eiszapfen. Seine Augen sahen so müde aus, dass der Anblick Daeman wehtat.
    Daeman schüttelte den Kopf. »Savi hat mir alles darüber erzählt, wie kalt und heiß es im Weltraum ist und was das Vakuum mit dem Körper macht. Sie wäre tot, bevor wir das Kraftfeld aktiviert hätten.«
    »Erinnerst du dich, wie man es aktiviert?«, fragte Harman. »Wie man das verdammte Ding fliegt?«
    »Ich … weiß nicht. Ich habe ihr zugesehen, wie sie es geflogen hat, aber ich bin nie auf den Gedanken gekommen, dass ich es selber tun müsste. Erinnerst du dich noch?«
    »Ich bin so … müde.« Harman rieb sich die Schläfen.
    Hannah zitterte nicht mehr. Sie sah aus, als wäre sie tot. Daeman zog seinen Thermohaut-Handschuh aus und legte ihr die bloße, flache Hand auf die Brust. Eine Sekunde lang war er sicher, dass sie von ihnen gegangen war, aber dann fühlte er den schwachen, vogelschnellen Schlag ihres Herzens.
    »Harman«, sagte er in energischem Ton. »Zieh deine Thermohaut aus.«
    Harman blickte zu ihm hoch und blinzelte. »Ja«, sagte er benommen, »du hast Recht. Ich habe meine fünf Zwanziger gehabt. Sie verdient es mehr als ich, am Leben zu …«
    »Nein, du Idiot.« Daeman half ihm, aus dem Anzug zu schlüpfen. Die Luft verwandelte sein ungeschütztes Gesicht und seine Hände augenblicklich in Eis; er konnte sich nicht vorstellen, bei dieser Kälte nackt zu sein. Die Luft wurde immer dünner, während sie miteinander sprachen. Ihre Stimmen klangen höher und schwächer. »Du teilst dir die Thermohaut mit ihr. Zähl bis fünfhundert, dann zieh sie ihr aus und wärm dich auf. Wechselt euch immer wieder ab, außer wenn sie stirbt.«
    »Und was machst du?«, keuchte Harman. Er hatte sich die Thermohaut ausgezogen und versuchte, sie dem bewusstlosen Mädchen überzustreifen, aber seine Hände und Arme zitterten so heftig von der Kälte, dass Daeman ihm helfen musste. Sofort passte sich die Thermohaut an Hannahs Körper an, und sie begann wieder zu zittern, obwohl der Anzug jetzt fast hundert Prozent ihrer Körperwärme bewahrte. Harman setzte ihr seine Osmosemaske auf.
    »Ich mache mich auf den Weg zum Sonie«, antwortete Daeman. Er gab Harman die Schusswaffe, musste jedoch seine Osmosmaske hochschieben, um sich verständlich zu machen, weil sie nicht mehr über Anzugfunk verbunden waren. »Hier. Behalte das für den Fall, dass Caliban euch beide holen kommt.« Daeman hob das einen Meter lange Rohrstück auf, das sie als Brechstange benutzt hatten.
    »Das wird er nicht tun«, sagte Harman zwischen schmerzhaften Atemzügen. »Er wird dich überfallen. Dann kann er uns in aller Ruhe fressen.«
    »Tja, ich hoffe, er bekommt ordentlich Bauchschmerzen von uns.« Daeman zog seine Osmosemaske herunter, stieß sich ab und lief und schwebte zur Ausgangsmembran.
    Erst nachdem er mit dem spitzen Ende des Rohrs ein mannsgroßes Loch in die Membran gebohrt und gerissen und sich in

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