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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nicht erklärt, wer Setebos ist«, sagte Harman. Er verlor allmählich die Geduld. Sechs weitere fertige und geheilte Menschen faxten aus ihren Tanks. Nur neunundzwanzig waren noch übrig. Harman und Daeman blieben noch zwanzig Minuten bis zum festgesetzten Zeitpunkt für den Aufbruch zum Sonie. Der Linearbeschleuniger war jetzt so nah, dass sie das Wurmloch an seiner Spitze erkennen konnten. Es war eine Kugel aus waberndem Licht und Dunkelheit.
    »Setebos ist ein Gott, dessen Kennzeichen die reine, willkürliche Machtausübung ist«, sagte Prospero. »Er mordet aufs Geratewohl. Er verschont Leben aus einer Laune heraus. Er tötet ungeheure Mengen Menschen, aber ohne System oder Plan. Er ist ein Gott des elften September. Ein Auschwitz-Gott.«
    »Wie bitte?«, sagte Daeman.
    »Ist nicht so wichtig«, meinte der Magier.
    »Er sagt«, zischte Caliban aus der Dunkelheit beim Kannibalentisch, »vielleicht mag Er, was ihm nutzt. Selber mag er, was ihm gut tut; doch warum? Weil er anders nichts Gutes bekommen kann.«
    »Gott verdammt!«, brüllte Daeman. »Ich werde diesen Scheißkerl finden.« Er nahm die Schusswaffe und sprang zu dem dunklen Bereich. Fünf weitere menschliche Körper faxten fort, und ihre Tanks leerten sich mit einem Rauschen. Noch vierundzwanzig.
    Hier lagen Leichen auf dem Fußboden, Leichen auf dem Tisch, Körperteile auf dem Sessel. Daeman hielt Savis Taschenlampe in der linken Hand, ihre Schusswaffe in der rechten. Er hatte die Kapuze mit den Nachtsichtgläsern aufgesetzt, sah aber trotzdem nur Dunkelheit und Schatten. Er beobachtete und wartete auf eine Bewegung im Augenwinkel.
    »Daeman!«, rief Harman.
    »Gleich«, rief Daeman. Er wartete, bot sich selbst als Köder dar. Er wollte, dass Caliban sprang. Momentan hatte er fünf Flechette-Geschosse in seiner Waffe, und er wusste aus Erfahrung, dass sie unmittelbar nacheinander abgefeuert werden würden, wenn er den Abzug gedrückt hielt. Er konnte fünftausend Glaspfeile in den mörderischen Mistkerl pumpen, wenn …
    »Daeman!«
    Er drehte sich zu Harmans Stimme um. »Siehst du Caliban?«, rief er zu dem beleuchteten Kontrollbereich zurück.
    »Nein«, sagte Harman. »Etwas Schlimmeres.«
    Daeman hörte das laute Zischen der Druckventile und dann den leisen Alarm. Etwas stimmte nicht mit den Tanks.
    Harman zeigte auf diverse virtuelle Anzeigen, die rot aufleuchteten. »Die Tanks leeren sich, bevor die Letzten geheilt sind.«
    »Caliban hat einen Weg gefunden, die Nährstoffzufuhr von außerhalb der Klinik zu unterbrechen«, sagte Prospero. »Diese vierundzwanzig Männer und Frauen sind tot.«
    »Verdammt!«, schrie Harman. Er schlug mit der Faust gegen die Wand.
    Daeman leuchtete mit der Taschenlampe in die sich leerenden Tanks.
    »Der Flüssigkeitspegel fällt rasch«, rief er Harman zu.
    »Wir faxen sie trotzdem raus.«
    »Dann faxt du Leichen nach Hause, in deren Gedärm blaue Würmer wimmeln«, sagte Daeman. »Wir müssen hier raus.«
    »Genau das will Caliban«, rief Harman. Daeman konnte die Steuerkonsole jetzt nicht sehen. Er war in der hintersten Reihe der Tanks, an jenen dunklen Stellen, die er zuvor aus Angst gemieden hatte. Die Waffe lag schwer in seiner Hand. Er leuchtete weiter in einen Tank nach dem anderen.
    Prospero murmelte mit seiner Altmännerstimme:
     
    »Mein Sohn, ihr seht bestürzt aus, wie verstört.
    Seid guten Muts; zwar, unser Fest ist aus.
    Unsere Spieler warn, wie ich euch sagte,
    Geister und sind jetzt aufgelöst in Luft.
    Und gleich dem grundlosen Stoff dieses Blendwerks
    Werden die Türme, hoch, bis zu den Wolken,
    Die prunkenden Paläste, hehren Tempel,
    Ja, wird der große Erdball selbst und alles,
    Was daran teilhat, sich auflösen und
    Verblassen wie hier dieser Maskenzug
    Ohne Substanz, dass keine Spur bleibt.
    Wir sind solcher Stoff, aus dem Träume gemacht sind,
    und unser kleines Leben rundet…«
     
    »Halt die Klappe, verdammt noch mal!«, rief Daeman. »Harman, hörst du mich?«
    »Ja«, sagte Harman, der zusammengesunken über der Steuertafel stand. »Wir müssen gehen, Daeman. Diese letzten vierundzwanzig haben wir verloren. Wir können ihnen nicht mehr helfen.«
    »Harman, hör mir zu!« Daeman stand in der letzten Tankreihe. Der Taschenlampenstrahl bewegte sich nicht. »In diesem Tank …«
    »Daeman, wir müssen gehen! Der Strom fällt aus. Caliban schaltet uns den Strom ab.«
    Wie zum Beweis für Harmans Behauptung verblasste die Holosphäre, und Prospero verschwand. Die Tankbeleuchtung erlosch.

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