Ilium
sich ihre Turin-Tücher über die Augen. Da man normalerweise eine Stunde unter dem Turin verbrachte, spazierte Daeman zum Waldrand hinüber und hielt unterwegs Ausschau nach Schmetterlingen.
Am Fuß des Hügels gesellte sich Ada zu ihm. »Du benutzt das Turin also nicht, Cousin Daeman?«
»So ist es«, sagte er und hörte, dass es zickiger klang als beabsichtigt. »Nach fast einem Jahrzehnt habe ich mich an die Dinger gewöhnt, aber ich kann auf sie verzichten. Und du, Ada, meine Liebe? Enthältst du dich ebenfalls?«
»Nicht immer.« Die junge Frau ließ einen pfirsichfarbenen Sonnenschirm kreiseln, während sie dahinschlenderte, und das weiche Licht verlieh ihrem blassen Gesicht einen schönen Glanz. »Hin und wieder schaue ich mal nach, wie die Dinge stehen, aber ich habe offenbar zu viel um die Ohren, um derart süchtig danach zu werden wie so viele andere heutzutage.«
»Die Turiner scheinen wirklich allgegenwärtig zu sein.«
Ada blieb im Schatten einer riesigen Ulme mit ausladenden, tief hängenden Zweigen stehen. Sie ließ den Sonnenschirm sinken und schloss ihn. »Hast du sie ausprobiert?«
»O ja. Zwischen meinen Zwanzigern waren sie der letzte Schrei. Einige Wochen habe ich diese … Exzesse genossen.« Bei der Erinnerung daran konnte er den Ton des Abscheus nicht ganz verbergen.
»Stört dich die Gewalt, Cousin?«
Daeman machte eine neutrale Geste. »Mich stört ihre … Indirektheit.«
Ada lachte leise. »Genau aus diesem Grund verzichtet auch Harman darauf. Ihr beiden habt einiges gemein.«
Dieser Gedanke war so absurd, dass Daemans einzige Reaktion darin bestand, mit der Spitze seines Spazierstocks welke Blätter am Boden wegzuschnippen.
Ada schaute zur Sonne hinauf, statt eine Zeitfunktion in ihrer Hand zu aktivieren. »Sie werden bald in die Wirklichkeit zurückkehren. Eine Stunde unter dem Tuch ist besser, als acht Stunden lang unbefriedigt herumzuhocken.«
»Aha«, sagte Daeman und fragte sich, ob das zweideutig gemeint war. Ihre Miene – freundlich wie immer, aber fast schon ein bisschen spitzbübisch – verriet nichts. »Diese Guss-Geschichte – wird das lange dauern?«
»Fast die ganze Nacht. So ist es jedenfalls geplant.«
Daeman blinzelte überrascht. »Wir werden doch wohl nicht unten am Fluss kampieren, oder wo immer diese Veranstaltung stattfinden soll?« Er überlegte, ob seine Chancen stiegen, die Nacht mit dieser jungen Frau zu verbringen, wenn sie unter den Sternen und Ringen schliefen.
»Wir haben Vorkehrungen für diejenigen getroffen, die die ganze Nacht am Gussplatz bleiben wollen«, erklärte Ada. »Hannah hat versprochen, dass es ziemlich spektakulär wird. Aber die meisten von uns werden irgendwann nach Mitternacht wieder zum Herrenhaus heraufkommen.«
»Gibt es bei diesem … äh … Guss auch Wein und andere Getränke?«, fragte Daeman.
»Aber natürlich.«
Nun war es Daeman, der lächelte. Sollten die anderen bei diesem Spektakel bleiben, er würde Ada den ganzen Abend hindurch mit alkoholischen Getränken versorgen, auf ihren anzüglichen Gesprächston einsteigen, sie nach Hause begleiten (mit Glück und guter Planung sie beide allein in einer kleinen Karriole), ihr seine nicht unbeträchtliche Aufmerksamkeit zuteil werden lassen – und mit einem Quäntchen Glück würde er in dieser Nacht nicht von Frauen träumen müssen.
Am späten Nachmittag hatten sich die rund zwanzig Gäste im Herrenhaus – einige plauderten über die Turin-Ereignisse des Tages, verbreiteten sich unablässig darüber, dass Menelaos von einem vergifteten Pfeil getroffen worden sei oder irgend so einen Unsinn – mit Unterstützung hilfsbereiter Servitoren versammelt und waren in einer Karawane von Droschken und Karriolen zum »Gussplatz« aufgebrochen. Einige Voynixe zogen die Fahrzeuge, andere trabten zur Bewachung nebenher, obwohl Daeman eigentlich keinen Grund für Sicherheitsmaßnahmen sah, wenn es in den Wäldern keine Tyrannosaurier gab.
Er hatte sich mit einigem Geschick den Platz neben ihrer Gastgeberin in der Karriole an der Spitze erobert, und Ada zeigte ihm interessante Bäume, kleine Täler und Flüsse, während sie den drei, vier Kilometer langen Feldweg zum Fluss hinunterrumpelten. Obzwar nicht gerade die Schlankheit in Person, nahm Daeman mehr Raum als nötig auf ihrer Seite der roten Lederbank ein und wurde für die Dauer der Fahrt mit dem Gefühl belohnt, wie sich Adas Schenkel an seinen presste.
Ihr Ziel war nicht der Fluss selbst, wie er sah, als sie auf
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