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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dem Kalksteinkamm über dem Flusstal herauskamen, sondern ein in den Hauptarm mündender Nebenfluss, ein rund hundert Meter breites, aufgestautes Gewässer, an dessen Ufer Erosion und Überschwemmungen eine Art Strand geschaffen hatten. Auf diesem breiten Sandstreifen war ein hohes, wackliges Gebilde aus Baumstämmen, Ästen, Leitern, Rinnen, Rampen und Treppen errichtet worden. Für Daeman sah es wie ein primitiver Galgen aus, obwohl er natürlich noch nie einen echten Galgen gesehen hatte. Fackeln ragten aus dem seichten Nebenfluss, und das wacklige Ding selbst stand halb auf dem Sand und halb über dem Wasser. Etwa hundert Meter weit draußen riegelte eine kleine, mit Zykadeen und Rosshaarfarnen bewachsene Insel, von der Vögel und kleine Flugreptilien mit Geschrei und hektischem Flügelschlagen aufstoben, diesen Wasserlauf gegen den eigentlichen Fluss ab. Daeman fragte sich müßig, ob es auf der Insel wohl Schmetterlinge gab.
    Auf einem grasbewachsenen Flecken oberhalb des Strandes waren bunte Seidenzelte, Clubsessel und lange Tische mit Speisen aufgestellt worden. Servitoren schwebten hin und her und tanzten über den Köpfen der eintreffenden Gäste.
    Als Daeman sich in Adas Gefolge von der Karriole entfernte, erkannte er einige der Arbeiter auf dem seltsamen Gerüst: Hannah, die ein rotes Stirnband trug, band ganz oben weitere Bauteile fest; der Verrückte namens Harman, hemdlos und schwitzend, schürte sechs Meter unter ihr ein kontrolliertes Feuer und zeigte dabei grotesk gebräunte Haut; andere junge Leute, vermutlich Freunde von Hannah und Ada, stiegen die hölzernen Rampen und Leitern hinauf und hinunter und schleppten schwere Lasten – Sand, weitere Äste für den Bau und runde Steine. Im Lehmkern der Konstruktion brannte ein loderndes Feuer, und Funken stiegen in den Frühabendhimmel. Alle Tätigkeiten der Arbeitenden wirkten zweckgerichtet, obwohl Daeman nicht erkennen konnte, welchem Zweck das hohe Konglomerat aus Ästen, Rinnen, Lehm, Sand und Flammen diente.
    Ein Servitor schwebte vorbei und bot ihm einen Drink an. Daeman nahm ihn und machte sich auf die Suche nach einem Clubsessel im Schatten.
     
    »Das ist der Kuppelofen«, erklärte Hannah den versammelten Gästen später am Abend. »Wir arbeiten seit ungefähr einer Woche daran – haben das Material mit Kanus auf dem Fluss hergeschafft und Äste und Zweige zugeschnitten und zurechtgebogen.«
    Das Abendessen war hervorragend gewesen. Die Sonne beschien noch die hohen Hügel diesseits des Flusses, aber das Tal selbst lag im Schatten, und die beiden Ringe leuchteten hell am dunkler werdenden Himmel. Sprühende Funken stiegen zu den Ringen empor, und das Schnauben des Blasebalgs und das Fauchen des Schmelzofens waren sehr laut. Daeman nahm sich noch einen Drink, seinen achten oder zehnten an diesem Abend, und bot auch Ada einen an, aber diese schüttelte den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Hannah zu.
    »Wir haben Holz zu einer Korbform geflochten und das Innere des Schmelzofens – den Schacht – schamottiert. Die Schamotte haben wir mit der Schaufel gemacht, indem wir trockenen Sand, Bentonit und etwas Wasser verrührt haben. Dann haben wir das lehmartige Zeug zu Kugeln gerollt, diese in feuchte Farnwedel und Blätter gewickelt, damit sie nicht austrocknen, und den Schmelzofen gründlich damit ausgekleidet. Dadurch wird verhindert, dass der ganze hölzerne Kuppelbau Feuer fängt.«
    Daeman hatte keine Ahnung, wovon die Frau redete. Wozu errichtete man ein großes, hankelbastiges Holzgerüst und zündete dann mittendrin ein Feuer an, wenn man nicht wollte, dass es abbrannte? Dies war wirklich ein Irrenhaus.
    »Die letzten paar Tage haben wir in erster Linie damit verbracht«, fuhr Hannah fort, »das Feuer zu schüren und gleichzeitig all die kleinen Feuer zu löschen, die der Kuppelofen entfacht hat. Deshalb haben wir das Ding so nah am Fluss gebaut.«
    »Ganz großartig«, murmelte Daeman und machte sich auf die Suche nach einem weiteren Drink, während Hannah und ihre Freunde – darunter auch der unerträgliche Harman – weiterquasselten. Dabei warfen sie mit Nonsensworten wie »Koksbett«, »Windring«, »Esseisen« (Hannahs Worten zufolge ein kleiner Lufteinlass an ihrem mit Lehm ausgekleideten Ofen, neben dem die junge Frau namens Emme weiterhin den pfeifenden Blasebalg betätigte), »Schmelzzone«, »Formsand«, »Abstichloch« und »Schlackenloch« um sich. Für Daeman klang das alles primitiv und irgendwie obszön.
    »Und

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