Ilium
einmal ein dringendes menschliches Bedürfnis verspürte, ging Daeman an den Tischen vorbei zum Toilettenzelt, entschied sich dann aber im Geiste all dieses heidnischen Unsinns, dem Ruf der Natur im Freien zu folgen. Er stieg die grasbewachsene Uferböschung hinauf und folgte einem Monarch, der an ihm vorbeigeflattert war, zum dunklen Waldrand. Der Anblick eines Monarchs war eigentlich nichts Besonderes, aber Daeman fand es schon ungewöhnlich, dass er zu dieser späten Stunde – und zu dieser Jahreszeit – noch draußen herumflog. Er ging am letzten Voynix vorbei und trat unter das hohe Geäst von Ulmen und Zykadeen.
Irgendjemand – vielleicht Ada – rief ihm vom dreißig Meter entfernten Flussufer aus etwas zu, aber Daeman hatte bereits seine Hose aufgeknöpft und wollte sich nicht daneben benehmen. Statt sich also zwecks einer Antwort umzudrehen, ging er weitere fünf, sechs Meter in die alles verbergende Dunkelheit des Waldes hinein. Es würde ja nur eine Minute dauern.
»Ahhh«, seufzte er, den Blick auf die orangefarbenen Flügel des Schmetterlings drei Meter über ihm gerichtet, während sein Urin an einen dunklen Baumstamm prasselte.
Der riesige, von der Schnauze bis zum Schwanz neun Meter lange Allosaurier kam mit einem Tempo von dreißig Stundenkilometern aus der Dunkelheit herangestampft, duckte sich unter den Zweigen hindurch und stürzte sich auf ihn.
Daeman hatte noch Zeit zu schreien, entschied sich jedoch, sein edelstes Teil wieder in der Hose zu verstauen, statt sich umzudrehen und dergestalt entblößt Fersengeld zu geben. Trotz seiner Sexbesessenheit wusste Daeman, was sich gehörte. Er hob seinen schweren hölzernen Spazierstock, um die Bestie abzuwehren.
Der Allosaurier schnappte sich nicht nur den Spazierstock, sondern gleich den ganzen Arm und riss ihn Daeman am Schultergelenk aus. Daeman schrie erneut auf und drehte in einer Fontäne seines eigenen Blutes eine Pirouette.
Der Allosaurier stieß ihn zu Boden und riss ihm auch noch den anderen Arm aus, den er in die Luft warf und wie einen Leckerbissen auffing. Dann hielt er den Rumpf des armlosen, aber immer noch strampelnden Daeman mit einem riesigen, klauenbewehrten Fuß am Boden fest, bis er bereit war, seinen schrecklichen Kopf erneut zu senken. Beiläufig, beinahe spielerisch, biss das Ungeheuer Daeman in der Mitte durch und verschlang seinen Kopf und Oberkörper am Stück. Rippen und Wirbelsäule verschwanden knackend in seinem Maul. Dann verleibte sich der Allosaurier die Beine und den Unterleib des Mannes ein, wobei er Fleischstücke um sich schleuderte wie ein Hund, der eine Ratte frisst.
Noch während zwei Voynixe hinliefen und den Dinosaurier töteten, begann das Fax zu summen.
»O mein Gott«, rief Ada und blieb am Waldrand stehen, während die Voynixe ihr blutiges Geschäft beendeten.
»Was für eine Schweinerei«, sagte Harman. Er gab den anderen Gästen mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie zurückbleiben sollten. »Hast du ihn nicht gewarnt, dass er hier unten in dem von den Voynixen gesicherten Bereich bleiben soll? Hast du ihm nichts von den Dinosauriern erzählt?«
»Er hat nach Tyrannosauriern gefragt.« Ada hatte immer noch die Hand vor den Mund geschlagen. »Ich habe ihm erklärt, dass es hier keine gibt.«
»Das stimmt ja auch«, meinte Harman.
Hinter ihnen ließ der Ofen weiter sein Fauchen ertönen und schickte Funken in den dunkler werdenden Himmel.
9
Ilium und Olymp
Aphrodite hat einen Spion aus mir gemacht, und ich kenne die Strafe, die Spione bei uns Sterblichen immer zu erwarten hatten. Ich kann nur vermuten, was die Götter mit mir anstellen werden. Aber ich glaube, ich lasse es doch lieber bleiben.
An diesem Morgen – einen Tag, nachdem ich Geheimagent der Göttin der Liebe geworden bin – quantenteleportiert Athene vom Olymp und morpht zu einem Trojaner, dem Lanzenkämpfer Laodokos. Gemäß Zeus’ Befehl, dass die Krieger Iliums dazu gebracht werden sollen, den gegenwärtigen Waffenstillstand zu brechen, sucht sie den Bogenschützen Pandaros auf, den Sohn von Lykaon.
Mit Hades’ Tarnhelm und dem privaten Teleportationsmedaillon, den Gaben der Muse, qte ich hinter Athene her, morphe dann zu einem Trojaner-Hauptmann namens Echepolos und folge der verkleideten Göttin.
Warum habe ich mir Echepolos ausgesucht? Woher kenne ich den Namen dieses unbedeutenden Hauptmanns? Dann wird mir klar, dass Echepolos nur noch Stunden zu leben hat; dass dieser Trojaner – zumindest Homer
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