Ilium
bemerkte er den etwas sentimentalen Klang seiner normalerweise kühlen Stimme und erkannte, dass Koros eine Region des Mondes gemeint haben musste – wahrscheinlich die Heimat des Ganymeders.
Der winzige Mond Himalia, den noch kein Mitglied der Crew besucht hatte – oder hatte besuchen wollen –, sauste vorbei wie ein Glühwürmchen mit brennenden Haaren.
»Wir haben die Bugstoßfront durchflogen«, meldete Ri Po mit seinem ausdruckslosen callistanischen Akzent. »Der erste Ausflug aus dem vertrauten Nest. Zumindest für diesen Moravec.«
Mahnmut schaute kurz auf seine Bildschirme. Ri Pos Anzeigen meldeten, dass sie nun dreiundfünfzig Jupiter-Durchmesser weit draußen waren und noch immer beschleunigten. Erst nachdem Mahnmut in unbenutzten Speicherbänken nachgesehen und festgestellt hatte, dass der Durchmesser des Jupiter fast 142.000 Kilometer betrug, bekam er ein Gefühl für ihre Geschwindigkeit. Das Schiff schoss in einem Bogen über die Ebene der Ekliptik hinweg, aber Mahnmut erinnerte sich undeutlich, dass die Anziehungskraft der Sonne sie wieder zum Mars herunterholen sollte, der sich momentan jenseits der Sonne befand; wie auch immer, die Navigation war nicht sein Problem. Sein Einsatz begann, sobald sie im Marsmeer landeten, und es schien ihm nicht weiter schwierig zu sein, darin herumzufahren – jede Menge Sonnenlicht, warme Temperaturen, geringe Wassertiefen ohne nennenswerten Druck, Sterne für die Navigation bei Nacht und von ihnen in einer Umlaufbahn abgesetzte GPS-Satelliten für die Navigation am Tag, so gut wie keine Strahlung im Vergleich zur Oberfläche von Europa. Keine Kraken! Kein Eis. Kein Eis! Es kam ihm viel zu einfach vor.
Falls die Nachmenschen allerdings feindselig waren, bestand natürlich ein hohes Risiko, dass die Moravecs die Reise zum Mars oder den Atmosphäreneintritt nicht überlebten, und selbst wenn, würden sie sehr wahrscheinlich nicht mehr in ihre Heimat im Jupiterraum zurückkehren können, aber all dies musste Mahnmut vorläufig einfach auf sich zukommen lassen. Seine Gedanken kehrten zum Sonett 127 zurück.
»Alle wohlauf?«, erkundigte sich Koros III.
Alle meldeten sich und bejahten. Von so ein paar tausend g auf der Brust ließ diese Crew sich nicht unterkriegen. Die Moral war sehr gut.
Ri Po hob an, ihnen weitere Informationen zum Thema Navigation und Raumfahrt zu geben, aber Mahnmut hörte nicht mehr richtig zu. Er war bereits im Schwerefeld des ersten Sonetts aus dem »Dark Lady«-Zyklus gefangen.
8
Ardis
Daeman schlief gut und träumte von Frauen.
Er fand es ein wenig amüsant, wenn nicht gar seltsam, dass er nur dann von Frauen träumte, wenn er nicht mit einer schlief. Es war, als brauchte er jede Nacht warmes weibliches Fleisch an seiner Seite und als lieferte es ihm sein Unterbewusstsein, wenn seine täglichen Bemühungen fehlschlugen. Als er am späten Morgen in seinem komfortablen Zimmer in Ardis Hall erwachte, zerstob der Traum in Fragmente und Fetzen, aber was übrig blieb – zusammen mit der üblichen Morgenerektion –, reichte, um eine undeutliche Erinnerung an Adas Körper oder den einer Frau zurückzubringen, die Ada sehr ähnlich war – warm, weißhäutig, nach Parfüm duftend, mit vollen Pobacken, runden Brüsten und kräftigen Schenkeln. Daeman freute sich auf die Eroberung, die er am Wochenende machen würde, und zweifelte an diesem schönen Morgen kaum an seinem Erfolg.
Später, als er geduscht, sich rasiert und untadelige ländliche Freizeitkleidung angelegt hätte – oder das, was er dafür hielt: weiß-blau gestreifte Baumwollhose, Wollweste mit Serge-Futter, Pastellfarbene Jacke, weißes Seidenhemd und Krawattennadel mit Rubin, seinen hölzernen Lieblingsspazierstock in der Hand und schwarze Lederschuhe an den Füßen, die ein wenig robuster waren als seine üblichen formellen Schlupfschuhe mit halbhohem Absatz –, frühstückte er im sonnigen Wintergarten und erfuhr zu seiner Befriedigung, dass Hannah und dieser Harman schon frühmorgens aufgebrochen waren. »Sie bereiten den Guss heute Abend vor«, lautete Adas kryptische Erklärung, und Daeman war nicht neugierig genug, sie um eine nähere Erläuterung zu bitten. Er war einfach froh, dass der Mann weg war.
Ada verbrachte den späten Vormittag mit ihm. Diesmal brachte sie keine absurden Themen wie Bücher oder Raumschiffe aufs Tapet, sondern betätigte sich als Führerin und machte ihn erneut mit den vielen Flügeln und verzweigten Korridoren von Ardis Hall, seinen
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