Illuminati
gegenüber hielt. Langdon sah nur die obere Hälfte über dem plätschernden Wasser des Brunnens.
Dunst wirbelte auf.
Langdon hatte eine dunkle Vorahnung. War der Assassine zu früh gekommen? War er tatsächlich in diesem Lieferwagen unterwegs? Langdon hatte eigentlich erwartet, dass der Mörder sein letztes Opfer zu Fuß über die Piazza führen würde, genau wie am Petersplatz, und Langdon so freies Schussfeld eröffnete. Doch falls der Assassine mit dem Lieferwagen gekommen war, hatten sich die Regeln in diesem Augenblick geändert.
Die seitliche Schiebetür wurde geöffnet.
Auf der Ladefläche des Wagens lag ein nackter Mann, seine Gestalt verzerrt vor Schmerz. Der Mann war in dicke Ketten gewickelt. Er kämpfte gegen die eisernen Fesseln an, doch sie waren zu schwer. Eines der Kettenglieder steckte in seinem Mund wie eine Kandare und erstickte seine gequälten Hilferufe. In diesem Augenblick bemerkte Langdon die zweite Gestalt, die sich im Dunkeln hinter ihrem Gefangenen bewegte, als träfe sie letzte Vorbereitungen.
Langdon wusste, dass ihm nur Sekunden zum Handeln blieben.
Er schlüpfte aus seinem Jackett, legte es zu Boden und nahm die Pistole. Er wollte weder von der schweren Jacke behindert werden, noch hatte er die Absicht, die Seite aus Galileos Diagramma mit in die Nähe des Wassers zu nehmen. Das Dokument würde bleiben, wo es war – halbwegs sicher, doch in jedem Fall trocken.
Langdon huschte nach rechts und umrundete den Brunnen, bis er sich direkt gegenüber dem Lieferwagen befand. Der massive Mittelblock versperrte ihm die Sicht. Aufrecht rannte er auf den Brunnen zu in der Hoffnung, das rauschende Wasser würde seine Schritte übertönen. Als er den Brunnen erreichte, kletterte er über die Beckeneinfassung und ließ sich ins schäumende Wasser hinunter.
Es war hüfthoch und kalt wie Eis. Langdon biss die Zähne zusammen und watete vorwärts. Der Boden war schlüpfrig, und das Vorankommen wurde doppelt erschwert durch eine Schicht von Münzen, die Besucher als Glücksbringer ins Wasser warfen. Rings um ihn stieg Dunst auf, und Langdon fragte sich, ob es Kälte war oder Furcht, die die Pistole in seiner Hand zittern ließ.
Er tastete sich am Brunnenrand nach links und watete voran, so schnell er konnte, während er sich in der Deckung der Marmorgestalten hielt. Hinter der massigen Form eines Pferdes hielt er inne und spähte zum Wagen. Er stand keine fünfzehn Meter entfernt. Der Assassine kauerte auf der Ladefläche und hantierte an den Ketten, mit denen er den Kardinal gefesselt hatte. Er machte Anstalten, seinen Gefangenen aus der offenen Tür direkt in den Brunnen zu rollen.
Hüfthoch im Wasser, hob Robert Langdon die Pistole und trat vor. »Keine Bewegung!«, rief er. Seine Stimme klang fester, als er geglaubt hätte.
Der Assassine sah überrascht auf. Einen Augenblick lang schien er erschrocken, als sähe er einen Geist. Dann schürzte er die Lippen zu einem hinterhältigen Grinsen, während er die Hände hob, um sich zu ergeben. »So geht es im Leben.«
»Steigen Sie aus dem Wagen.«
»Sie sehen nass aus.«
»Sie sind zu früh.«
»Ich brenne darauf, zu meiner Beute zurückzukehren.«
Langdon hob die Waffe. »Ich werde nicht zögern zu schießen.«
»Sie haben bereits gezögert.«
Langdons Finger krümmte sich um den Abzug. Der Kardinal zu den Füßen des Mörders rührte sich nicht mehr. Er sah erschöpft aus, als hätte er sich in sein Schicksal ergeben. »Binden Sie ihn los.«
»Vergessen Sie ihn. Sie sind wegen der Frau gekommen. Tun Sie nicht so, als wäre es anders.«
Langdon kämpfte gegen das Verlangen, es an Ort und Stelle zu beenden. »Wo ist sie?«
»An einem sicheren Ort. Sie wartet auf meine Rückkehr.«
Sie lebt also noch. Langdon spürte neue Hoffnung in sich aufkeimen. »In der Kirche der Erleuchtung?«
Der Mörder grinste. »Sie werden diesen Ort niemals finden.«
Langdon konnte es kaum glauben. Die Kirche existiert also immer noch! Das Nest der Illuminati ist noch intakt! Er zielte mit der Waffe auf den Mörder. »Wo?«
»Der genaue Ort ist jahrhundertelang geheim geblieben. Selbst ich erfuhr erst kürzlich von seiner Existenz. Ich würde eher sterben, als das Vertrauen zu enttäuschen, das in mich gesetzt wurde.«
»Ich finde den Ort auch ohne Sie.«
»Ein arroganter Gedanke.«
Langdon deutete mit dem Lauf der Waffe auf den Brunnen. »Ich bin immerhin bis hierher gekommen.«
»Das sind viele andere auch. Der letzte Schritt ist der
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