Illuminati
kam die Druckwelle.
Der Donner klang tief und hohl – eine gewaltige Schockwelle aus dem Himmel. Sie brandete auf die Menschen herab wie der Racheengel aus der Hölle und ließ das granitene Fundament der Vatikanstadt erzittern. Sie trieb den Menschen die Luft aus den Lungen und schleuderte sie zu Boden. Dann kam ein plötzlicher Sturm warmer Luft. Er fegte über den Platz, rauschte zwischen den Säulen hindurch und brandete gegen die Mauern. Staub wirbelte auf, und die Menschen duckten sich tief an den Boden… Zeugen des letzten Kampfes zwischen Gut und Böse, von Armageddon.
Und dann implodierte die Kugel, so schnell, wie sie entstanden war. Sie fiel in sich zusammen, bis nur noch der winzige Lichtpunkt übrig blieb, und einen Sekundenbruchteil später war auch davon nichts mehr zu sehen.
124.
Die Menschen auf dem Petersplatz senkten einer nach dem anderen den Blick vom nun wieder schwarzen Himmel und schauten nach unten, stumm vor Staunen. Die Scheinwerfer folgten gleich darauf, wie aus Ehrfurcht vor der sich ausbreitenden Schwärze. Für einen Moment schien es, als beugte die ganze Welt einhellig den Kopf.
Kardinal Mortati kniete sich zum Beten hin, und die anderen Kardinale folgten seinem Beispiel. Die Schweizergardisten senkten ihre Hellebarden und standen da wie betäubt. Niemand sprach ein Wort. Niemand rührte sich. Überall zuckten Schultern in spontanen Gefühlsausbrüchen. Trauer. Furcht. Staunen. Glauben. Und ehrfürchtiger Respekt vor der furchtbaren und neuen Macht, die sie soeben mit eigenen Augen gesehen hatten.
Vittoria Vetra stand zitternd am Fuß der breiten Treppe, die hinauf zum Petersdom führte. Sie schloss die Augen. Durch den Sturm von Gefühlen hindurch erklang ein einzelnes Wort, wie eine ferne Glocke. Klar. Grausam. Sie verdrängte es. Es kehrte zurück wie ein Echo. Sie verdrängte es entschiedener. Der Schmerz war zu groß. Sie versuchte sich mit den Bildern abzulenken, Bildern von der unglaublichen Macht, die sich in der Antimaterie versteckte… von der Rettung des Vatikans… vom Camerlengo… seiner tapferen Tat… von göttlichen Wundern… und von Selbstlosigkeit. Und doch hallte das Wort weiter durch ihren Verstand, durchdrang das umgebende Chaos und versenkte sie in ein Gefühl unendlicher Einsamkeit.
Robert.
Er war zum Castel Sant’ Angelo gekommen, um sie zu retten. Er hatte sie gerettet.
Und nun hatte ihre Schöpfung ihn das Leben gekostet. Während Kardinal Mortati betete, fragte er sich, ob auch er
Gottes Stimme hören würde, wie der Camerlengo vor ihm. MUSS ein Mensch an Wunderglauben, um sie sehen zu können? Mortati war ein moderner Mensch mit einem alten Glauben. Wunder hatten in seinem Glauben nie eine Rolle gespielt. Natürlich erzählte sein Glaube von Wundern… blutenden Wundmalen, Wiederauferstehung von den Toten, Abdrücken auf Leichentüchern… und doch hatte Mortatis rationaler Verstand diese Berichte stets als Teil des Mythos abgetan. Sie waren Resultat der größten Schwäche, die Menschen besaßen – dem Bedürfnis, für alles Beweise zu sehen. Wunder waren nichts weiter als Geschichten, an die sich alle Menschen klammerten, weil sie sich wünschten, sie mögen wahr sein.
Und doch…
Bin ich denn so modern, dass ich nicht akzeptieren kann, was ich soeben mit eigenen Augen gesehen habe? Es war doch ein Wunder, oder nicht? Ja! Gott hatte eingegriffen, mit ein paar Worten ins Ohr des Camerlengos, und Gott selbst hatte die Kirche vor dem Untergang bewahrt. Warum war das so schwer zu glauben? Was hätte es über Gott ausgesagt, wenn Er tatenlos zugeschaut hätte? Dass dem Allmächtigen die Menschen gleichgültig waren? Dass Er nicht die Macht besaß, dieses Verbrechen aufzuhalten? Ein Wunder ist die einzig mögliche Antwort!
Während Mortati kniete und überlegte, betete er für die Seele des Camerlengos. Er dankte dem jungen Geistlichen, der trotz seiner Jugend Mortatis alte Augen geöffnet hatte für die Wunder, die nur unerschütterlicher Glaube zu sehen vermochte.
Doch Mortati hätte niemals erwartet, dass sein neu gewonnener Glaube schon wenige Sekunden später so hart geprüft werden würde…
Die Stille auf dem Petersplatz wich einem leisen Raunen. Das Raunen breitete sich rasch aus, wurde zu einem Murmeln, und dann, mit einem Mal, zu einem kollektiven Aufschrei. Ohne jede Vorwarnung schrien alle Menschen laut durcheinander.
»Seht! Seht nur!«
Mortati öffnete die Augen und wandte sich zu den Menschen um. Jeder deutete auf
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