Illuminatus 1 - Das Auge in der Pyramide
Übermenschen. Im Zuge ihrer verschwörerischen Aktivitäten beseitigten die Illuminaten - so Malik in seinen Andeutungen gegenüber Jackson - jede populäre politische Figur, die ihnen in die Quere kam.
Saul zündete seine Pfeife an, schloss die Augen, und dachte nach. Die Theorie Mansons durch die Weatherman und Morituri, und an den Wahlspruch «mit allen zu Gebote stehenden Mitteln» der radikalen Jugend, sogar ausserhalb der Weatherman. Und er dachte an Nietzsches Slogans: «Seid hart... Alles was in Liebe getan wird, ist jenseits von Gut und Böse... Über dem Affen steht der Mensch, und über dem Menschen steht der Übermensch... Vergiss die Peitsche nicht...» Trotz seiner eigenen logischen Einsicht, dass Maliks Theorie nur teilweise stimmte, verspürte Saul Goodman, der zeitlebens liberal gesinnt war, plötzlich eine heftig aufschiessende Angst, die Angst vor rechtsradikalen Gewalttaten gegen die moderne Jugend.
Er erinnerte sich der scheinbaren Vermutung Maliks, die Verschwörung ginge hauptsächlich von Mad Dog City aus - und das hier war das Territorium der God's Lightning. Und die God's Lightning begeisterten sich wahrhaftig nicht für Marihuana, für die Jugend oder für die unüberhörbaren antichristlichen Parolen innerhalb der Illuminaten-Philosophie.
Ausserdem konnte man Maliks Informationsquellen nur bedingt Vertrauen schenken.
Darüber hinaus gab es noch andere Möglichkeiten: die «Shriner» beispielsweise, die der Freimaurerbewegung angehörten, verstanden sich mehr oder weniger als rechts -radikal. Sie hatten ihre eigenen versteckten Riten und Geheimnisse und bedienten sich eines arabisch gefärbten Drum und Dran, das seinen Ursprung sehr wohl bei Hassan i Sabbah oder den Roshinaya in Afghanistan haben mochte. Wer hätte sagen können, was für geheime Komplotte bei den Zusammenkünften der Shriner ausgeheckt wurden?
Halt! Das war jetzt wieder der intuitive Stabhochspringer auf der rechten Gehirnhälfte in Aktion; und dabei war Saul gerade um den sich abplackenden Logiker auf der linken Seite besorgt.
Den Schlüssel zum Geheimnis konnte er nur finden, indem er eine eindeutigere Definition der wahren Absichten der Illuminaten fand. Man musste den Wechsel, den sie - beim Menschen und seiner Gesellschaft - zu vollziehen versuchten, so genau wie möglich bestimmen - erst dann konnte man annäherungsweise bestimmen, wer sie überhaupt waren.
Sie trachteten nach englischer Vorherrschaft in unserer Welt, und glaubte man den «Birchers», waren sie Schüler der Rhodes-Stiftung. Und diese Idee passte, das lag auf der Hand, zu Sauls wunderlicher Vorstellung einer weltweiten Shriner-Ver-schwörung. Was aber dann? Die italienischen Illuminaten unter Fra Dolcino strebten eine Verteilung des Reichtums an - aber die internationalen Bankeninteressen gingen, so Playboy, dahin, ihre Reichtümer zu festigen. Die Britannica gab an, dass Weis -haupt ein «Freidenker» war, wie auch Washington und Jefferson - Sabbah und Joachim von Florenz aber waren nachweislich ketzerische Mystiker beider, der islamischen und der katholischen Traditionen.
Saul nahm das neunte Memo zur Hand, in der Absicht, weitere Fakten (oder vorgegebene Fakten) zu finden, bevor er weitere Analysen anstellte, und da kam ihm schlagartig etwas zu Bewusstsein.
Wonach die Illuminaten auch immer trachteten, es war niemals vollendet worden ... Der Beweis: Hätten sie es jemals vollendet, würden sie längst nicht mehr im Geheimen konspirieren.
Da im Laufe der Menschheitsgeschichte schon fast alles ausprobiert worden ist, musste man herausfinden, was noch nicht (jedenfalls noch nicht in grösserem Rahmen) ausprobiert wurde - und genau das wird es sein, wo die Illuminaten den Rest der Menschheit hinzubekommen versuchen.
Man hatte den Kommunismus ausprobiert. Man hatte den Kapitalismus ausprobiert. Man hatte in Australien sogar Henry Georges Einheitssteuer ausprobiert. Man hatte Faschismus, Feudalismus und Mystizismus ausprobiert.
Anarchismus hatte man noch nie ausprobiert.
Anarchismus stand häufig in Verbindung mit politischen Morden. Er übte eine gewisse Anziehungskraft auf Freidenker aus, etwa auf Kropotkin und Bakunin, aber auch auf religiöse Idealisten, wie Tolstoi oder Dorothy Day, Anhängerin der Katholischen Arbeiterbewegung. Die meisten Anarchisten setzten, wie Joachim, ihre Hoffnung in die Aufteilung von Reichtum; Rebecca hatte ihm jedoch einmal über einen Klassiker anarchistischer Literatur, Max Stirners Der Einzige und sein
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