Illusion - das Zeichen der Nacht
nachtragend. Ich bin sicher, er würde liebend gern persönlich mit Argo abrechnen. Wenn er sich stattdessen auf einen Deal mit euch eingelassen hat, dann muss er sich etwas noch Fieseres überlegt haben.«
»Du meinst, er will sich an dir rächen?«
Jana zuckte die Achseln. »Keine Ahnung«, gab sie zu. »Es wäre immerhin denkbar.«
»Vergiss nicht, wir haben ihm für Argo viel Geld gegeben«, sagte Nieve besänftigend. »Das kann Grund genug sein, auf eine persönliche Rache zu verzichten, meinst du nicht?«
»Man merkt, dass du die Varulf nicht kennst«, erwiderte Jana ungeduldig. »Mit Geld kann man sie nicht ködern. Sie kommen mit dem Nötigsten aus, darauf sind sie sogar stolz. Ich wünschte, dieser Kopfgeldjäger hätte sich nicht an sie gewandt, sondern an uns Agmar.«
»Offenbar war sein Vater ein Varulf. Das erklärt, warum er ihn an Glaukos’ Leute ausgeliefert hat.«
»Ein halber Varulf, der einen Wächter zur Strecke bringt«, sagte Jana. »Du musst zugeben, irgendwas kann da nicht stimmen.«
»Argo war schon schwer krank, als dieser Yadia ihn geschnappt hat, bestimmt hat er nicht mehr lange zu leben. Corvino hat ihn gesehen, bevor er mit Glaukos verhandelt hat. Er sagt, Argo sieht aus wie ein alter Mann und seine Flügel sind verbrannt. Ihm muss etwas Schreckliches zugestoßen sein. Ich kann mir bloß überhaupt nicht vorstellen, was das gewesen sein soll.«
Plötzlich leuchteten Janas Augen auf. »Nieve, ich hab eine Idee. Warum gehen wir nicht zu ihm, und zwar jetzt sofort? Glaukos ist noch nicht in der Stadt, er kommt erst heute Abend. Das könnte unsere Chance sein. Wenn er hinter der ganzen Sache steckt, will er Argo bestimmt noch Anweisungen geben, bevor er mit mir spricht. Ich soll Argo morgen Vormittag treffen, bevor ihr ihn hierher bringt. Wenn ich jetzt zu ihm gehe, komme ich Glaukos zuvor.«
»Wahrscheinlich lassen sie dich gar nicht rein. Glaukos hat sicher genaue Anweisungen gegeben.«
»Wir können es zumindest versuchen. Was ist, kommst du mit?«
Auf Nieves feinem Gesicht zeichnete sich ein verschmitztes Lächeln ab. »Na klar. Das lasse ich mir auf keinen Fall entgehen.«
Kapitel 3
D as Gebäude, in dem die Varulf ihren Gefangenen untergebracht hatten, besaß keinen Zugang von der Straße, so viel wussten sie. Es konnte nur von der Rückseite aus, vom Landungssteg an einem kleinen, übel riechenden Kanal betreten werden. Der Gondoliere, den sie vor dem Palast der Wächter ansprachen, rümpfte die Nase, als er die Adresse hörte. Diesen Teil der Stadt mochte er offenbar nicht. Doch der Schein, den Nieve ihm in die Hand drückte, genügte, um seine Bedenken zu zerstreuen, und zwar so gründlich, dass er die ganze Fahrt über trällerte und Witze riss und Jana mit seiner überschäumend guten Laune den letzten Nerv raubte.
Als sie schon fast am Ziel waren, wollte der Mann seine beiden eleganten weiblichen Fahrgäste mit einem kleinen Zaubertrick beeindrucken, der in seiner Zunft in letzter Zeit sehr in Mode war. Er zog das lange Ruder ein, mit dem er die Gondel steuerte, gähnte und streckte die Arme aus. »Ich glaube, für heute habe ich genug gearbeitet. Ich brauche eine Pause.«
Er beugte sich über den ruhigen, tiefgrünen Kanal, schöpfte, die Hände zu einer Schale geformt, ein wenig Wasser und blies darauf, wobei er eine lange Zauberformel murmelte, die er sich wahrscheinlich selbst ausgedacht hatte.
Kaum hatte er das Wasser wieder in den Kanal zurückgeschüttet, bewegte die Gondel sich von allein fort und glitt über den Teppich aus sich spiegelnden Backsteinfassaden mit Girlanden voll trocknender Wäsche dahin. Dadurch war nicht zu erkennen, wer oder was die Gondel vorwärtsbewegte, aber gedämpft durch das Plätschern des Wassers konnte Jana das vergnügte Gemurmel der unsichtbaren Wesen hören, die dem Ruf des Gondoliere gefolgt waren.
Als sie Nieves Schmunzeln sah, verdrehte sie die Augen. »Nicht zu fassen«, stöhnte sie. »Selbst du findest das gut.«
»Was soll denn daran schlecht sein?« Nieve schien es Spaß zu machen, Jana zu provozieren. »Das ist doch nur ein bisschen harmlose Magie. Und ich finde es großartig, wenn die Menschen lernen, damit umzugehen.«
Der Gondoliere nickte lebhaft und warf Nieve ein Lächeln zu. Jana zuckte die Achseln, sagte jedoch nichts weiter. Sie spürte die Feindseligkeit des Gondoliere, der sie mit unverhohlenem Argwohn ansah. Wahrscheinlich hatte er gemerkt, dass sie eine Medu war.
Wenige Minuten später, als der
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