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Illusionen

Illusionen

Titel: Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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Die Werkzeugtasche hatte ich neben die Proviantkiste geklemmt, und ohne besonderen Grund holte ich den Achter-Schlüssel heraus, betrachtete ihn, wischte ihn dann ab und rührte damit das Gulasch um.
    Ich war allein, niemand konnte mich beobachten, und zum Spaß probierte ich, den Schraubenschlüssel, genauso wie er es getan hatte, schweben zu lassen. Warf ich ihn senkrecht in die Luft und zwinkerte mit den Augen, wenn der höchste Punkt erreicht war und er wieder herunterzufallen drohte, so hatte ich den momentanen Eindruck, als schwebte er tatsächlich. Aber dann plumpste er herab und fiel ins Gras oder auf mein Knie, und der Eindruck war rasch vernichtet. Aber es war doch derselbe Schraubenschlüssel gewesen ..., wie hatte er es bloß fertiggebracht?
    Wenn all das Illusion ist, Mister Shimoda, was ist dann wirklich? Und wenn dieses unser Leben nur Illusion ist, weshalb leben wir dann überhaupt? Am Ende ließ ich es sein, warf den Schlüssel noch ein paarmal in die Luft und gab's auf. Und im selben Augenblick war ich froh, war glücklich, daß ich war, wo ich war, daß ich erkannt hatte, was ich erkannt hatte, obwohl es keineswegs die Antwort auf das Wesen unserer Existenz oder nur das von ein paar Illusionen war.
    Wenn ich allein bin, singe ich manchmal. »Oh, ich und meine alte Schecke«, sang ich und klopfte auf den Flügel der Fleet und streichelte die Maschine, weil ich sie so liebte (und auch, weil keiner dabei war, der mich hören konnte). »Wir zwei durchstreifen den Himmel... wir galoppieren über die Wiesen, bis einer von uns beiden müde ist...«
    Melodie und Text werden improvisiert, während ich weitersinge. »Und ich werde nicht müde, Schecke... Es sei denn, du brichst dir einen S pant ... und dann werde ich dich einfach mit B indedraht zusammenflicken... und wir werden weiterfliegen... W ir werden weiterfliegen .. .«
    Endlose Strophen, wenn ich erst einmal angefangen habe und glücklich bin. Der Reim ist dabei nicht so wichtig. Ich hatte aufgehört, mir wegen des Messias den Kopf zu zerbrechen. Ich konnte sowieso nicht ergründen, wer er war oder was er meinte. Deshalb hatte ich den Versuch aufgegeben. Ich vermute, daß mich das glücklich machte.
    Lange nach zehn Uhr erstarb das Feuer und mit ihm auch mein Lied.
    »Wo immer du sein magst, Donald Shimoda«, sagte ich, während ich meine Decke unter der Tragfläche ausbreitete, »ich wünsche dir einen guten Flug und keine Menschenmengen - wenn es das ist, was du suchst. Nein, ich nehme das zurück: Ich wünsche dir, lieber einsamer Messias, daß du findest, was du suchst.«
    Als ich mein Hemd auszog, fiel der Leitfaden aus der Brusttasche. Ich las, was auf der aufgeschlagenen Seite stand:
     
    Die Bande, die deine wahre Familie
    vereinen, sind nicht aus Blut, sondern
    aus Freude am eigenen
    und Achtung vor anderem Leben.
    Nur seiten wachsen die Mitglieder
    einer Familie unter dem gleichen Dach auf.
     
    Ich verstand nicht, wie sich das auf mich beziehen konnte, und beschloß, niemals ein Buch an die Stelle meiner eigenen Gedanken treten zu lassen. Ich kuschelte mich in die Wolldecke und war sofort eingeschlafen wie eine Glühbirne, die abgeschaltet wird - warm und traumlos unter dem Himmel, unter vielen tausend Sternen, die vielleicht Illusionen waren, gewiß, aber bestimmt sehr schöne.
    Als ich wieder zum Bewußtsein kam, ging gerade die Sonne auf: rosafarbenes Licht, goldene Schatten. Das hatte mich aber nicht geweckt. Irgend etwas hatte ganz sachte meinen Kopf berührt. Zuerst glaubte ich, es sei ein im Wind treibender Strohhalm. Dann aber wußte ich genau, daß es ein Insekt war, hieb wild danach und brach mir fast die Hand... Ein Schraubenschlüssel ist ein hartes Stück Eisen, wenn man es wegschlagen will... Und ich erwachte ziemlich plötzlich. Der Schraubenschlüssel prallte am Querruderscharnier ab, grub sich einen Augenblick ins Gras und schwebte wieder majestätisch in der Luft. Auf einmal hellwach geworden, sah ich, wie er sich behutsam wieder auf die Erde gleiten ließ und still lag. Bis ich mich endlich bequemte, den Schraubenschlüssel aufzuheben, war er längst wieder das altvertraute, geliebte Werkzeug, genauso schwer wie früher, genauso erpicht, diese vertrackten Schrauben und Muttern anzuziehen. »Was zum Teufel!«
    Eigentlich fluchte ich nie - ein Überbleibsel aus meiner Kindheit. Aber ich war echt verunsichert, mehr ließ sich dazu nicht sagen. Was geschah mit meinem Sechskantschlüssel? Donald Shimoda war gute neunzig

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