Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Ritschen nennt, und in denen die Abwässer der Altstadt zähflüssig ihrer Bestimmung, dem Stadtgraben, zutreiben.
Der Graben muss bestialisch gestunken haben.
So ist es. Selbst dem seltenen Gast in der Stadt, Maximilian, entgeht das nicht, er beklagt sich schrecklich über den „üblen Geschmack“, der die „Luft infisziert“, wie seine Hoheit sich ausdrückt. In den Slums, die es früh an den Stadträndern gibt, müssen die Zustände hingegen absolut gespenstisch gewesen sein.
Hingegen? Sagtest du wirklich hingegen?
Gerade unser Stadtteil St. Nikolaus kann ein Lied davon singen. Es kommt nicht von ungefähr, dass er den Namen Kotlacke erhielt, ein Begriff, der erst im hiesigen Dialekt gestützt auf das berüchtigte Tiroler K seine absolut schauerliche Dimension entfaltet. Auch in anderen Städten lassen sich solche Viertel nachweisen, die gerade bei Regen kaum passierbar sind, weshalb allerorts findige Behörden mittels Holzstegen und in Schrittweite verlegten Steinen den Bedingungen beizukommen versuchen; hie und da schnallen sich die Bewohner Holzgestelle unter die Füße. Kommt es zu Säuberungsaktionen, wandert der Mist meist in einen nahe gelegenen Bach oder Fluss, wo man auch die Kadaver verendeter Tiere entsorgt – das dürfte in unserer Stadt bis Mitte des 18. Jahrhunderts der Fall gewesen sein, da es erst zu dieser Zeit ausdrücklich verboten wird. Auf den Punkt gebracht, lässt sich das Abfallproblem als frühester Grundpfeiler der europäischen Einheit bezeichnen.
Und das Feuer!
Stimmt, auch das Feuer. Von der Innsbrucker Feuerordnung erzählt dir das Haus in der –
15
1588 floriert der Buchladen des Hans Paur im Gebäude des Goldenen Dachls bereits so sehr, dass sich der Geschäftsinhaber ein Haus in der Altstadt kaufen kann und mit seiner Familie in die Schlossergasse 15 übersiedelt. Diese Gasse hat sich im 16. Jahrhundert zu einem Künstlerzentrum entwickelt, hier sind zahlreiche Goldschmied- und Plattnerfamilien ansässig, auch die Malerfamilie Scheel und die des Uhrmachermeisters Yllmer. Damals wird die Gasse wohl schon Plattnergasse genannt, ursprünglich hieß sie aber Peyrer- oder Peurergasse, weil sich an der Stelle des heutigen Hauses 11 einst der Weinkeller des Klosters Benediktbeuren befand.
Benediktbeuern, meinst du? Eine Freundin hat mich einmal darauf aufmerksam gemacht, dass der Name des Klosters selbst in der Fachliteratur immer falsch ausgesprochen werde.
Auf jeden Fall bewilligt einer der Grafen von Görz-Tirol dem Kloster die zollfreie Weineinfuhr und den steuerfreien Besitz des vorhin genannten Kellers in der Peurergasse, die eigentlich Peuergasse heißen müsste, nicht? Wie dem auch sei, der Graf bedingt sich aus, über dem Keller ein Haus bauen zu dürfen, was darauf hinweist, dass sich schon wenige Jahrzehnte nach der Stadtgründung eklatanter Platzmangel bemerkbar macht. Noch heute erfährst du allein durch die geringe räumliche Tiefe der Gasse viel von jenen Tagen, in denen die Stadt angelegt wurde. Der ohnehin spärlich vorhandene Platz wird förmlich von Häusern aufgesogen, denn bald sah man sich genötigt, nahe der Stadtmauer und in den einstigen Befestigungsring integriert zu bauen. So trat beispielsweise Meister Gregor Türing 1536 beim Stadtrat mit der Bitte vor, „drei kleine Fensterli durch die Ringmauer brechen“ zu dürfen, damit er „destmer Luft und Licht in der Behausung“ habe. Er versicherte den Stadtoberen, „dieselben drei Fensterli mit gueten starken Eisengatterli“ zu versehen.
Türing wohnte auch in der Altstadt? Und das Haus in der Innstraße?
Das gehört, als Paurs Buchladen aufblüht, einem Thomass Lee, auch Thoman Lee Engenlender genannt, und seiner Frau Magdalena Uschal. Die beiden verkaufen das Haus bald an einen Nürnberger Handelsmann. Der Schöpfer des Hausportals, Niklas Türing der Jüngere, hat seinen Vater Gregor nur um 15 Jahre überlebt und ist während der Bauarbeiten an der Hofkirche 1558 gestorben. Doch zurück zu Paur. Der stammt aus Dillingen an der Donau, einer Stadt, die in etwa so alt ist wie Innsbruck und ihr Wachstum maßgeblich den Fürstbischöfen von Augsburg verdankt. Bereits im 16. Jahrhundert hatte sich die Donaustadt als eine der Hochburgen des Buckdrucks etabliert. So soll schon einige Jahre vor Hans Paur ein gewisser Gallus Dingenauer von Dillingen nach Tirol gekommen sein. Erstaunlicher ist, dass die Buchdruckerkunst in Innsbruck erst relativ spät in Erscheinung –
Wundert dich das wirklich?
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