Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
wichtigen Anlaufstellen werden die Wunderärzte, viele von ihnen begeben sich auf Wanderschaft, manche finden bei Hof eine Anstellung. Dort unterscheidet man sie von den Buchärzten, womit Mediziner mit abgeschlossenem Studium gemeint sind. Erzherzog Sigmund umgibt sich mit einer ganzen Ärzteschar, an seinem Hof hatten stets zwei Buchärzte und jede Menge Chirurgen anwesend zu sein. Einer der Leibärzte Friedrichs mit der leeren Tasche, ein Mann namens Peter Archis, scheint Bucharzt und Chirurg in einem gewesen zu sein, der Landesfürst lobt ihn in höchsten Tönen, sei dieser Mann doch gar vom römischen König gerühmt und in seinem Amt bestätigt worden.
Er lobte ihn wohl vor allem deshalb, weil er ein Buchmediziner war.
Vielleicht. Aber es ist nicht so, dass die Buchärzte generell in hohem Ansehen stehen. Petrarca beispielsweise hat eine ganz andere Meinung von ihnen, er schreibt in einem seiner Bücher, er habe stets das Gegenteil von dem getan, was Ärzte ihm rieten. Einmal habe ihn ein Fieber ins Bett gezwungen, im Handumdrehen seien die Ärzte eifrig disputierend um ihn herum gestanden, den Tod um Mitternacht hätten sie ihm prognostiziert. Er habe seelenruhig geschlafen, und als ihn die Ärzte am nächsten Morgen aufsuchten, um den Totenschein auszustellen, hätten sie ihn emsig arbeitend am Schreibtisch vorgefunden. Immerhin, Petrarca lebte in Avignon, im 14. Jahrhundert päpstliche Residenzstadt und sicherlich nicht mit den schlechtesten Ärzten ausgestattet.
Ach, Petrarca, er war ein Dichter, gehörte einem Berufsstand an, der sich schon immer auf die Übertreibung verstand.
Petrarca ist nicht alleine mit seiner Meinung, von Boccaccio und zahlreichen anderen Autoren ist Ähnliches zu vernehmen. Als folgten sie alle dem Beispiel des englischen Philosophen Roger Bacon, der gegen 1270 ein Werk mit dem Titel De erroribus medicorum verfasst und darin die Ärzteschaft aufs Heftigste angreift. Zweifelsohne übertreibt auch Bacon, um auf die Behandlungsmethoden seiner Zeit hinzuweisen, sie müssen mehr als dürftig gewesen sein. Es gibt damals natürlich auch Koryphäen auf dem medizinischen Gebiet.
Dachte ich es mir doch!
Der interessanteste Arzt am Innsbrucker Hof ist Pietro Andrea Mattioli aus Siena. Er lebt von 1501 bis 1577, studiert in Padua Philosophie, Medizin und Naturgeschichte und beschränkt sich als einer der wenigen Vertreter seiner Zunft nicht rein auf buchärztliches Wissen, sondern erwirbt sich in Perugia Kenntnisse in der Chirurgie. Einige Jahre arbeitet er in Rom, ab 1554 ist er als Leibarzt Erzherzog Ferdinands II . von Tirol bezeugt. Im gleichen Jahr erscheint in Venedig sein überarbeiteter Kommentar zum Dioskurides . Dieses mit über fünfhundert Holzschnitten illustrierte Buch erreicht bald mehr als sechzig Auflagen.
Was ist so außerordentlich an dem Buch?
In dem Werk beschreibt Mattioli als einer der ersten die aus Amerika eingeführte Tomate, auch stammt die erste Abbildung der Rosskastanie in einem europäischen Kräuterlehrbuch von ihm. Ferner gibt er Hinweise zur Verwendung einzelner Pflanzen, die Karotten „treiben den Harn, bringen Lust zu Speis und zu den ehelichen Werken“, die Bohnen hingegen „reizen die unkeuschen Gefühle“, so der Leibarzt Ferdinands. Er soll ein eitler und rechthaberischer Mensch gewesen sein, berichten Zeitgenossen, zielstrebig und auf die eigene Karriere bedacht, stets auf der Suche nach Fehlern, die seine Kollegen machten. Was hätte er wohl zur Diagnose des Doktor Notker gesagt? Der Arzt im Dienst Heinrichs I. von Bayern liefert einen Beleg für die Zuverlässigkeit einstiger ärztlicher Befunde: Hör dir das an!
Ein probates Mittel früherer Diagnostik ist die Harnschau, bei der ein Arzt den Urin seines Patienten untersucht, um Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand zu ziehen. Ein Harnglas braucht es dazu, dessen Inhalt der Mediziner auf Sedimente, Farbe, Geruch und auch Geschmack überprüft – Arzt zu sein ist hart. Notker erhält also von Heinrich einen Abschlag herzoglichen Wassers, weiß nicht, dass es sich dabei um den Urin einer schwangeren Hofdame handelt. Schon klar, der Befund macht Notker stutzig, und man muss sich die Nöte dieses Mannes vorstellen, als er vor seinen Herren tritt, Arzt durch und durch, der dem Herzog diagnostiziert, binnen der nächsten dreißig Tage ein Kind zu gebären.
20
Du musst jedoch nicht in die Badhausgasse gehen, um dir ein Bild von der medizinischen Versorgung früherer Tage zu machen, auch
Weitere Kostenlose Bücher