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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Autoren: Christoph W. Bauer
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den Berufsstand der Zahnbrecher.
    Hör bloß auf, vom Zahnarzt zu sprechen!
    Wieso? Kriecht der Wurm? Früher glaubte man, ein sich durch den Zahn fressender Wurm verursache die Schmerzen. Wird der Wurm zum Feuer speienden Drachen, schlägt die Stunde der Zahnbrecher, mit dem Brenneisen rücken sie an, um die Karies unter den Nerven zu kautern, wie man sagte, eine bis Anfang des 19. Jahrhunderts durchaus übliche Methode. Die meisten Patienten verlieren bei der Behandlung das Bewusstsein. Wachen sie wieder auf, sind die Zahnbrecher schon auf und davon, landauf, landab preisen sie marktschreierisch ihre Künste an, was ihnen die Etikette Scharlatan einbringt, eine Ableitung aus dem italienischen ciarlare, schwatzen.
    Dass sich die Zahnbrecher trotz schmeichelnder Bezeichnung nicht über mangelnde Kundschaft beklagen müssen, haben sie einer Zahnpflege zu danken, die sich bis ins 19. Jahrhundert hinein kaum als solche bezeichnen lässt. Dabei gibt es die ersten Zahnbürsten schon ab Beginn des 18. Jahrhunderts. Doch lange gilt als etepetete, wer sich einmal täglich den Mund ausspült, vielleicht noch mit einem Lappen die Zähne abreibt. Auf jeden Fall lebt die Frühform der Kieferchirurgie vom jugendlichen Publikum, alte Menschen mit Zähnen gibt es kaum. Wahrscheinlich stehen die Zahnbrecher auf der gleichen hierarchischen Stufe wie die Bader – aus dem Blickwinkel der Inneren Medizin natürlich. Die verdankt sich ja in unseren Breiten dem Eremitendasein.
    In der Antike gab es aber doch schon große Ärzte, etwa nicht?
    Hippokrates und Galen, auf die beiden gehen die Körpersaftlehre und in weiterer Folge auch der Aderlass zurück. Gerade Galen, der Leibarzt Kaiser Marc Aurels, genießt im Mittelalter hohes Ansehen. Während jedoch die byzantinischen und arabischen Mediziner das antike Erbe bewahren, wird bei uns vorwiegend klösterliche Heilkräuterkunde betrieben. Erst ab dem 13. Jahrhundert kommen über das maurische Spanien die Erkenntnisse der hoch entwickelten arabischen Medizin nach Mittel- und Westeuropa, von entscheidender Rolle sind ferner die Handelskontakte nach Byzanz.
    Und die antiken Texte?
    Von denen haben nur wenige überdauert. Und um die spärlichen Reste wieder zugänglich zu machen, ist man auf Übersetzer angewiesen –
    Die Mönche.
    Ja, die übertragen und studieren die alten Schriften des Hippokrates und Galen, bearbeiten den Dioskurides , das bedeutendste Werk der Kräuterheilkunde, entstanden im 1. Jahrhundert n. Chr. Mit allerlei Wissen ausgestattet, treten die Ordensbrüder bald als Klosterärzte in der Öffentlichkeit auf. Aber wie kannst du jemanden heilen, wenn die Krankheit gottgewollt ist? Diese Frage, sie kommt aus den eigenen Reihen: von der klerikalen Obrigkeit. Nur Christus Medicus, Gott allein weiß zu heilen, was er geschaffen hat! Kurz und gut, in diversen Konzilen des 12. und 13. Jahrhunderts wird den Geistlichen jede ärztliche Tätigkeit verboten – es ist die Stunde der Medizin als Universitätsfach.
    Und die der Bader.
    Stimmt, die der Bader und Handwerkschirurgen, ein Sammelbegriff aus der damaligen Zeit, der die Wundärzte mit einschließt. Die sind überall dort anzutreffen, wo es schwer zur Sache geht, auf dem Schlachtfeld zum Beispiel, weshalb der Name Feldscher für Wundarzt aufkommt.
    19
    Nahe Salerno, im Kloster Montecassino, errichten die Benediktiner ein Hospital für erkrankte Ordensbrüder und wirken dort schon vor der Jahrtausendwende als Lehrer und Ärzte. Rasch wird das Kloster zum Hafen vieler Kreuzfahrerschiffe, deren verwundete Besatzungen sich im Hospiz gesundpflegen lassen, denn die Heilkundigen dort, die civitas salernitana, haben sich über Jahre hinweg profundes medizinisches Wissen angeeignet, zudem zahlreiche antike Schriften gesammelt. Diese Vorarbeit wird zur Basis für spätere Ärztegenerationen, die Schola Medica Salernitana zieht Gelehrte aus dem ganzen Mittelmeerraum an, hier verschmelzen arabisches, griechisches und jüdisches Wissen. Unter dem Einfluss der Schule von Salerno formieren sich Hygiene, Pharmazie und Diätetik genauso zu eigenen Disziplinen wie Anatomie und Chirurgie. Es dauert allerdings Jahrhunderte, bis sich die von Regenten verordneten und auf Papier festgehaltenen Studienordnungen auch in die Realität umsetzen lassen. Die Handwerkschirurgen versehen weiterhin ihren Dienst, Ärzte und Apotheker bleiben lange Zeit eins. Das Volk stürmt auf den Markt und in die Arme jener, die am lautesten schreien.
    Das ist typisch.
    Zu
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