Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Innseite schauende schmale Fenster, das nur spärlich Luft und Licht in den dunklen Kerker lässt, wo in Ketten Gefesselte auf Verhör und Verurteilung warten. Hans schmunzelt, als er daran denkt, wie Maria sich stets an den Armen und am Kopf zu kratzen beginnt, sobald er von dem Ungeziefer erzählt, von Spinnen, Käfern und Ratten, die sich im Kräuterturm eingenistet haben. Langsam gleitet Hoffmans Blick die Fassade des Kräuterhauses entlang, er weiß hinter dem dicken Gemäuer weitere Gefängniszellen, ferner die Wohnung des Kerkermeisters und das Bürgerstübele, in dem adelige Gefangene untergebracht werden, und natürlich die Folterkammer.
Maria erinnert sich, dass ihr Vater immer wieder prustend vor Lachen die Geschichte zum Besten gab, wie Erzherzog Ferdinand sich einmal beklagte, weil die Schreie der Gefolterten seine Mittagsruhe gestört hatten.
Grüblerisch wird Hans, wenn er an den Sommer des Jahres 1630 zurückdenkt, der Fall Martin Retter, es war doch abzusehen, dass Retter die Tortur nicht überleben würde, aber Recht muss Recht bleiben. Mehrmals hat Hoffman mit seinem Schwiegervater den Fall erörtert, nein, man hatte es sich bei Gericht beileibe nicht einfach gemacht, lange diskutiert, welche Folter zulässig wäre.
Schlicht weghören muss Maria, wenn ihr Mann von der Peinlichen Befragung spricht und die verschiedenen Grade der Marter aufzählt:
Der Angeklagte wird in den Verhörraum geführt und muss sich ausziehen, hernach folgt die territio verbalis, die Folter ersten Grades, dem Delinquenten werden die Instrumente gezeigt und ihr Funktionieren beispielhaft erklärt. Zeitigt das kein Ergebnis, soll eine solches die Daumenschraube erwirken, zeigt der Gefangene sich auch nach Grad zwei noch ungeständig, wird er – Grad drei – mittels Seilzug in die Höhe gezogen; Intensität und Dauer des Aufziehens bilden weitere Grade. Bleiben die Beschuldigten bockig, wird ihnen die Starrheit mit ihresgleichen ausgetrieben, kommt der Esel zum Zug, ein Holzbock mit zugespitzter Oberkante, auf den die Übeltäter gebunden werden, Verschärfung durchs tormentum insomniae – Schlafentzug, oft mehrere Tage lang.
Dieser letzten Tortur wurde Martin Retter unterzogen, immerhin, sein Geständnis bestätigte den anfänglichen Verdacht, denkt Hoffman, Retter bekannte sich eindeutig zum Vergehen, mit Hexen Gemeinschaft gepflogen zu haben.
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Wo sich heute Herrengasse und Herzog-Otto-Straße kreuzen, stand einst der Kräuterturm, für damalige Verhältnisse am nordöstlichen Ende der Stadtmauer. Ursprünglich war er als Wehrturm in Verwendung, vielleicht auch als Lager für Schießpulver, früher Chraut genannt. Andere Quellen besagen, der Name komme von einem Kräuterwein, der im Kräuterhaus hergestellt wurde, wo sich eine Brennerei –
Den dort Einsitzenden wird es völlig egal gewesen sein, woher die Bezeichnung stammt!
Da magst du recht haben. Fest steht, der Kräuterturm diente von 1514 bis 1889 als landesfürstliches Gefängnis und wurde 1890 abgebrochen. Auch trug man einen Teil des Kräuterhauses ab und errichtete ein Mietshaus, heute Domplatz 4. Gleich nebenan, im nunmehrigen Ansitz des Bischofs, befand sich die ehemalige Latein- und Singschule. Gut möglich, dass man die Nähe zur Folterkammer als pädagogisch wertvoll erachtete, denn wer hier zur Schule ging, hatte als Erwachsener gewiss genug Aggressionspotential aufgestaut, um sich im Haus nebenan um eine Stelle zu bewerben.
Was geschah mit Martin Keller?
Der starb, nachdem er sein Geständnis bestätigt hatte –
Was soll das heißen, bestätigt?
Ein unter Folter erzwungenes Geständnis ist nicht rechtskräftig, deshalb findet unmittelbar nach der Peinlichen Befragung ein herkömmliches Verhör statt. Und nun denk dir, du hast gerade die Tortur hinter dir: Würdest du bei der anschließenden Erhebung widerrufen und es riskieren, dass man noch einmal von vorne beginnt? Vielleicht steht dir dann die „Heiße Platte“ bevor, eine besonders qualvolle und abartige Methode – man stellt den Delinquenten ein paar Avemaria lang auf glühende Eisenplatten, und wenn das Gericht es so will, kommen noch einige Vaterunser dazu. Und während ein Gebet ums andere heruntergeleiert wird, eilt eine der Kirchenobrigkeiten von der nahen Pfarre St. Jakob heran und beschwert sich, dass die Schreie der Gefolterten den Gottesdienst stören.
Nicht dein Ernst!
Im Jahr 1750 war das der Fall.
Und nachdem Martin Retter sein Geständnis bestätigt hatte, wurde er
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