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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph W. Bauer
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lebenslänglich Haft lautet der Richterspruch, zwei Jahre nach Prozessabschluss ist die Schleifferin tot.
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    Grimmig hat er Innsbruck verlassen, der Kramer Heinrich, all die Brandreden umsonst, und dabei lief eine Zeit lang alles wie am Schnürchen, auf dem Denunziationswillen der Hiesigen ließ sich ein gewaltiger Scheiterhaufen aufbauen.
    Heinrich Kramer, besser bekannt als Heinrich Institoris, führte die europaweite Jagd nach Hexen 1485 in unsere Stadt, wo er einen Monsterprozess anstrebte. Fünfzig Verdächtige standen auf seiner Liste, darunter achtundvierzig Frauen – logisch für einen wie Kramer, der den Begriff femina vom lateinischen Wort für Glaube, fides, und von minus ableitete, um aus seiner Etymologie zu schließen, die Frau sei weniger glaubensfähig, daher sündenanfälliger von vornherein.
    Der Innsbrucker Prozess wurde für Kramer allerdings zur Pleite, zu weit hatte er sich vorgewagt mit seinen Ermittlungen, gar Fragen gestellt, die das Leben des Landesfürsten tangierten. Prompt erhielt er vom Brixner Bischof die Aufforderung zugeschickt, sich aus der Stadt zu machen. Doch Kramer wäre nicht Kramer, im Auftrag des Allmächtigen unterwegs und besessen bis in die winzigste Faser seiner Dominikanerkutte, hätte er der bischöflichen Weisung Folge geleistet. Er blieb und blieb, erst als ihm der Bischof zu verstehen gab, dass die achtundvierzig Frauen womöglich Ehemänner und Freunde haben, begriff Kramer den Ernst der Lage und verließ die Stadt.
    Später verfasste Institoris zusammen mit dem Gleichgesinnten Jakob Sprenger den Hexenhammer , ein Machwerk kranker Phantasie, die Innsbrucker Schlappe wird dem Schreibfluss nicht im Wege gestanden sein. Kramer war übrigens der einzige Geistliche, der hier in Innsbruck einen Prozess durchführte, alle weiteren wurden von weltlichen Stellen geleitet.
    Was nützt es dem Martin Keller und der Schleifferin?
    Nichts, das zeigt nur, wie eng kirchliche und weltliche Instanzen damals kooperieren und dass die Behörden unter dem Deckmantel der Gläubigkeit bald eine Möglichkeit erkennen, einem der Probleme der Zeit Herr zu werden – der Bettelei. Die gilt rasch als Brutstätte des Abwegs, denn nicht nur die Gangart der Almosengeber verschärft sich, auch die der Empfänger, sie erbetteln im Lauf der Zeit immer weniger und revanchieren sich mit Flüchen und Drohgebärden dafür. Reichlich Wind in die Segel der Inquisition bläst der tief im Volk verwurzelte Aberglaube, ein versehentlich verlorengegangenes Schnäuztuch kann rasch zum Wink des Teufels werden – und schon findet man sich am „dritten Joche“ wieder!
    Wie man sich so eine Überführung vorstellen muss, darüber gibt das Aktenmaterial im Prozess gegen Wolfgang Zellwieser einiges her. Zwar findet der Prozess nicht in Innsbruck statt, was nicht zuletzt auch verdeutlicht, wie engmaschig das Netz der Gerichtsbarkeit damals ist, insgesamt gibt es in Tirol 65 Land- und Schubgerichte. Eines davon befindet sich in Anras in Osttirol, das Pfleghaus, ein wuchtiger Ansitz, dessen Baukern aufs Mittelalter zurückgeht und der bis 1809 den Bischöfen von Brixen als Sommerresidenz dient.
    Hier findet im August 1615 der Prozess gegen Wolfgang Zellwieser statt, der aufgrund seiner ungebührlichen Reden festgenommen und im Turm des Pfleghauses inhaftiert wird. Zellwieser ist der Gottesverleugnung und Schadenszauberei angeklagt, so soll er zum Beispiel dank seiner Zauberkünste ein verheerendes Unwetter herbeigeführt haben. Da Zellwieser gesteht, Anras aber nicht über die Blutgerichtsbarkeit verfügt, muss der Delinquent an das Landgericht Heinfels ausgeliefert werden. Also wird er um sieben Uhr morgens, wie es in den Quellen heißt, unter Bewachung von „100 bewehrt Mannen“ an die Brücke über den Abfaltersbach geführt, der die Gerichtsgrenze zu Heinfels markiert. Auf der Brücke treffen die Gerichtsherren von Anras und Heinfels aufeinander, um die Übernahme zu vollziehen, zu deren Zweck Zellwieser vom Anraser Gerichtsdiener die Fesseln gelöst werden. Dann gibt er dem Gefangenen einen Schubs, womit der Übergabeakt aber noch nicht ganz vollzogen ist, denn nun muss der Gerichtsdiener von Heinfels dem Delinquenten die Fesseln wieder anlegen und –
    Und was geschah mit Zellwieser?
    Er wurde gerädert und verbrannt. Zellwieser war Bettler und verdingte sich gelegentlich als Viehhirte. Ohne das veränderte Almosenwesen und den bei der Bevölkerung vorherrschenden Mystizismus wäre dieses Urteil kaum

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