Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Gasthaus Eiche bezeugt ist.
Vier Jahre nach seinem Umzug nach Anbruggen wird Hans Hoffman zum Stadtrichter gewählt und bekleidet das Amt, das schon sein Schwiegervater, Hans Stanner, innehatte. Die Wahl erfolgt wie die des Bürgermeisters durch die Bürgerversammlung, die Amtszeit dauert ein Jahr. Meist sind die Amtsträger froh, wenn sie ihrer Tätigkeit wieder entbunden werden, denn der Aufgabenbereich eines Stadtrichters ist groß, umfasst die Gerichtsverwaltung und Rechtsprechung, aber auch polizeiliche Aufgaben wie die Feuerbeschau, die Marktaufsicht, kurzum, als Stadtrichter ist Hoffman Oberpolizist der Stadt.
Maria Hoffman, erzählt das Haus, ist viel allein, was nützt ihr da das Wappen, das der Landesfürst ihrem Mann vor zwei Jahren verliehen hat, die Gastwirtschaft läuft gut, doch die meiste Arbeit fällt ihr zu. Schon früh morgens verlässt er die Unterkunft, macht sich auf ins Rathaus, um den Bericht der Nachtwächter zu empfangen, manchmal ist das aber nicht nötig, denn Hans unternimmt selbst immer wieder nächtliche Streifzüge. Das diene zur Erhaltung der Ruhe in den Straßen und Gassen der Stadt, erklärt er ihr und fügt hinzu: Kaum eine Nacht vergeht, in der nicht etwas vorfällt, Geschrei in den Gassen, Missachtung der Sperrstunden, auch halten sich die Wirte ungern an die vorgeschriebenen Preise.
Tagsüber geht Hans Hoffman auf den Markt, um vielleicht einen Metzger zu erwischen, der verdorbenes Fleisch feilbietet oder zum x-ten Mal einen Bäcker, dessen Brot nicht der Norm entspricht. Auch die Juden in der Seilergasse verursachen stets Probleme, seine Frau Maria freilich behauptet, man beziehe bei ihnen ausgezeichnete Ware, sie muss es ja wissen, war ihr Vater doch selbst Handelsmann.
Manchmal, wenn es die Zeit erlaubt, lehnt Maria Hoffman sich kurz ans Hausportal, schaut hinüber zu den Gewerbebetrieben auf der anderen Straßenseite und denkt an ihre Mutter Anna. Mit der war sie als Kind immer durch die Ofenlochgasse gegangen, wo ihr Vater ein Haus gekauft hatte, zwei in der Silbergasse besaß er schon, die Geschäfte gingen trotz großer Konkurrenz gut.
Auf der Suche nach malefizischen Personen vergeht dem Hans Hoffman der Tag im Flug, die Peinliche Befragung dauert oft Stunden, ärgerlich, es gibt genug anderes zu tun. Beispielsweise potentielle Störfaktoren der öffentlichen Ordnung ausfindig zu machen, Bettler und Menschen, die keiner geregelten Arbeit nachgehen.
Das unnutze Gsind kann sich ein Beispiel an deinem Vater nehmen, hat die Mutter wiederholt gesagt, Maria Hoffman gibt sich einen Ruck und geht zurück ins Haus. Ihrem Mann steht erneut eine lange Nacht bevor, er darf nichts unversucht lassen, Rauf- und Unzuchthändel abzustellen, die Ertappten, fordert das Gesetz, sind gebierendermaßen abzustrafen.
Wer sich der Unzucht schuldig macht, erzählt das Haus, muss auf dem Schandesel reiten, ein im Stadtturm aufbewahrtes Gerät aus Holz, auf das die Delinquenten geschnürt und dann stundenlang der Öffentlichkeit dargeboten werden. Oder man sperrt sie ins Narrenhäusel, einen eisernern Käfig, ebenfalls vor dem Stadtturm befindet sich dieses Gerät, vom Katzung-Haus, vom Helbling-Haus, von all den Schmuckkästchen der Stadt gut einsehbar. Ist das Häusel belegt, der Esel beritten, dann an den Pranger mit dem Pack oder gleich schon in die Fischerin, auch Kräuterturm und Kräuterhaus bieten sich als Alternative an.
An Markttagen geht Maria Hoffman gern in die Stadt, sieht schon von der Innbrücke aus den Stadtturm emporragen, sie weiß, darin befindet sich ein gut sieben Meter hohes Gewölbe, die Fischerin, der städtische Kerker. Auch das Kräuterhaus am Innufer ist nicht zu übersehen, daneben der Kräuterturm. Im dritten und vierten Stockwerk sind die Gefängniszellen, hat ihr Hans erzählt, und im zweiten kann man durch einen Zugang in das anschließende Kräuterhaus gelangen, wo die Peinliche Befragung durchgeführt wird. Der Bau sei in einem schrecklichen Zustand und mache der Stadt keine Ehre, hat schon ihr Vater gezetert, das Dach durchlässig wie ein Sieb.
Im Fußboden des zweiten Stockwerks des Turms muss jenes Fallloch sein, von dem ihr Mann wiederholt spricht, Maria läuft es kalt den Rücken hinab, wenn sie sich vorstellt, dass Gefangene an einem Seil durch dieses Loch in das Verlies befördert werden, das sich im Erdgeschoß und im ersten Stock befindet.
Hans Hoffman steht am linken Flussufer und blickt hinüber zum Kräuterturm, kaum zu erkennen, das zur
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