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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph W. Bauer
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Olmütz, aus Salzburg – Wie gesagt, Stainer ist ein Star seiner Zeit –
    Wo erlernte er das Handwerk?
    Er könnte nach Füssen gegangen sein, dort gab es eine lange Tradition im Instrumentenbau. Wahrscheinlicher aber ist, er hat in Oberitalien, in Cremona gelernt.
    Und warum sollte das wahrscheinlicher sein?
    Weil in Füssen zu jener Zeit die politische Lage aus dem Ruder läuft und der Dreißigjährige Krieg der Stadt am Lech arg zusetzt. Und was der Krieg nicht frisst – die Pest ist eine Bestie. 1632 fällt sie über das Allgäu her, und man muss sich das verbildlichen, Füssen, das vor 1618 noch 2.300 Einwohner zählt, ist um 1648 auf 800 Einwohner geschrumpft.
    Was heißt da verbildlichen, ich kann mir das nicht –
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    „Die Körper der Verschiedenen wurden vor den Häusern abgelegt, wo man besonders des Morgens zahlreiche Leichen sehen konnte. Alsdann ließ man Bahren kommen, und in Ermangelung derselben legte man viele auch auf bloße Bretter. Oft wurden auf einer Bahre zwei oder drei zugleich hinausgetragen, und nicht nur einmal, sondern sehr oft traf es sich, dass die Frau und der Mann, zwei oder drei Brüder, der Vater und der Sohn auf einer Bahre lagen.“ Das findest du bei Boccaccio.
    Noch eindrücklicher schildert Agnolo di Tura aus Siena jene Tage: „Im Juni, Juli und August starben in Siena so viele Menschen, dass sie selbst gegen Entgelt keiner mehr begraben wollte. Man packte dann den Toten, ob Tag oder Nacht, und trug ihn zusammen mit zwei oder drei anderen zur Kirche und begrub ihn, so gut es ging und wo es gerade möglich war, und bedeckte ihn mit etwas, damit die Hunde ihn nicht fraßen. Vielerorts in der Stadt hub man Gräben von riesigen Ausmaßen aus und legte, ja warf die Leichen hinein. So machte man es Schicht für Schicht, bis der Graben voll war. Danach hub man den nächsten aus. Und ich, Agnolo di Tura, genannt der Dicke, begrub mit eigenen Händen meine fünf Kinder in einer Grube.“
    Gut ein Drittel der Menschen Europas fällt der Seuche zum Opfer, doch schon damals hat der Spruch „Nichts mehr ist, wie es vorher war“ keine Gültigkeit. Während in jener Zeit ein mittelalterliches Kommunikationsproblem für derlei Aussagen sorgt, sind es heute Massenmedien, die sich für Propagandazwecke missbrauchen lassen und sich dabei – paradox – mittelalterlicher Ressentiments bedienen.
    Was meinst du mit Kommunikationsproblem?
    Zwar gab es Chroniken in den Klosterbibliotheken, sie wurden aber rein nach theologischen Aspekten durchsucht, andere einschneidende Ereignisse in Erinnerung zu halten war nicht Aufgabe der Mönche. Nur so ist es zu erklären, dass die justinianische Pest weitgehend in Vergessenheit geraten war, sie zeigte dieselben Symptome, wie aus den Zeugnissen des im 6. Jahrhundert n. Chr. lebenden Geschichtsschreibers Prokop hervorgeht: Beulen in der Leistengegend und unter den Achseln, Benommenheit und Halluzinationen, Eintreten des Todes meist innerhalb weniger Stunden. Die Pest zog 541 von Justinians Kaiserresidenz Konstantinopel über Italien, Spanien bis hinauf in den Norden nach Trier, tobte im nördlichen Afrika, in Syrien und in der ägyptischen Wüste, wo du heute noch die Ruinen von Dörfern sehen kannst, die damals fluchtartig verlassen wurden.
    Auch in Innsbruck gab es wiederholt Pestalarm, 1348, 1543, 1611 – Der in diesem Jahr zu Ehren der Pestheiligen Sebastian, Pirmin und Rochus begonnene Bau der Dreiheiligenkirche erinnert daran. Das Fundament für diesen Bau wurde nur ein paar Schritte von uns entfernt hier in der Innstraße gelegt.
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    In der Innstraße 9 lebt im Jahr 1611 der Orgelbauer Georg Gemelich. Er hat das Haus im Jahr 1600 für sich und seine Frau Sabina erworben. Die Gemelichs wohnen im ersten Stock, das Parterre haben sie an die Familie Faigl vermietet; Faigl ist Bäcker von Beruf, bietet sein Brot auf der Brotbank in den Gewölben des Rathauses an.
    Die Gemelichs feiern zusammen mit ihren sechs Kindern wie die Jahre zuvor die Auferstehung des Herrn, beispiellos ist am Karsamstag der Zulauf des Volkes, das von einer Kirche zur anderen eilt, um den Feierlichkeiten beizuwohnen, die abends mit allem Prunk unter dem Klang von Trompeten und Pauken abgehalten werden.
    Der Ostersonntag fällt auf einen 3. April, Sabina Gemelich, sie ist hochschwanger, hantiert in der Küche überm offenen Herd, dort befindet sich ein Hal, erzählt das Haus, eine Kette mit Haken, um die Kessel über das Feuer hängen zu können. Weitere Utensilien, die Sabina

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