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Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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diese kurzen, abgehackten Töne zu hören. Dann nahm sie all ihre Kraft zusammen: » Gregor hat sich nicht umgebracht! « Sie sprach ganz langsam. » Und er ist bestimmt nicht aus Versehen vom Balkon gestürzt. Vielleicht ist ihm plötzlich schwindelig geworden und er hat sein Gleichgewicht verloren, vielleicht hat er einen Sekundenherztod gehabt wie sein Vater. «
    » Und vielleicht wird man das nie herausfinden … «
    Sie schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. » Mag sein, dass man einen plötzlichen Schwindel bei einer Obduktion nicht feststellen kann, da bin ich überfragt, aber ob es sich um einen Sekundenherztod handelt, kann man ganz sicher herausfinden. «
    » Der Staatsanwalt wird nur dann eine Obduktion anordnen, wenn er ein Fremdverschulden vermutet «, wiederholte ich das, was der Kripobeamte mir erklärt hatte.
    » Wenn das so ist, dann veranlassen wir eben selbst eine O b duktion. Daran kann uns niemand hindern. Dann haben wir wenigstens Gewissheit. «
    » Ich habe Gewissheit, Claudia, und du hast sie auch: Gregor hat sich nicht selbst das Leben genommen. Manche Menschen haben eine unzerstörbare Grundzuversicht, weil sie wie Katzen sind, die immer wieder auf die Pfoten fallen. Gregor gehörte zu diesen Menschen. Selbst wenn er einmal für kurze Zeit das Licht am End e s eines Tunnels aus den Augen verloren hatte, dann wusste er tief drinnen stets, dass es hinter der nächsten Biegung wieder auftauchen würde. Solch ein Mensch lässt sich nicht in die Tiefe fallen. Er verzweifelt nicht, ganz einfach weil er die Hoffnung nicht aufgibt. Und ein Suizid ist ein Akt der Verzwei f lung. «
    » Helen … wie kann ich dir helfen? «
    » Ich weiß es nicht. «
     
    D ie Zeit drängte. Als Nächsten rief ich Joost an. Er war nach dem zweiten Klingeln am Apparat. Obwohl es drei Uhr in der Nacht war, hatte ich ihn nicht geweckt.
    » Du bist wach? Hast du es schon gehört? «, fragte ich.
    » Ich sitze an einem Aufsatz, der morgen fertig sein muss. Was soll ich schon gehört haben? « Seine Stimme klang alarmiert. Wenn mitten in der Nacht das Telefon läutete, verhieß das selten Gutes. Joost war Mediziner, er wusste das. » Was ist passiert, Helen? Ist etwas mit Jana? «
    » Joost … Gregor ist tot. Er ist gestern Abend vom Balkon seiner Kanzlei gestürzt. «
    Zum ersten Mal erlebte ich, dass Joost, Gregors bester Freund, der bisher nie um ein Wort verlegen gewesen war, keine Worte fand. Ich hörte ihn schwer atmen.
    » Das kann nicht sein «, brachte er schließlich heraus.
    » Nicht Gregor. «
    » Er kommt nicht zurück, Joost, nie wieder. Er ist gestern Morgen aus dem Haus gegangen und … « Ich sah ihn vor mir, ich hörte, wie er sich von uns verabschiedete. » Ich bin dort gewesen, an der Stelle, wo es passiert ist. «
    » O mein Gott, Helen, sag, dass das nicht wahr ist! «
    » Er lag im Vorgarten. « Mein Hals war wie zugeschnürt. » Joost, du bist Arzt … glaubst du, dass … ich meine … « Würde ich die Antwort überhaupt ertragen können?
    Joost hatte mich verstanden. Schweigen machte sich zwischen uns breit. Dann antwortete er endlich.
    » Bei einem Sturz aus dem fünften Stock ist anzunehmen, dass er auf der Stelle tot war. «
     
    M eine Schwester Isabelle ging generell nicht ans Telefon. Wie immer sprang ihr Anrufbeantworter an und bat mich, nur dann eine Nachricht zu hinterlassen, wenn es um Leben oder Tod ginge. Von Nebensächlichem möge man ihn –gemeint war sie –bitte verschonen. Ich kannte diese Ansage und hatte oft lächeln müssen, wenn ich sie hörte.
    » Du glaubst nicht, was mir dadurch alles erspart bleibt «, pflegte Isabelle voller Überzeugung zu sagen.
    Gregors Tod blieb auch ihr nicht erspart. Ich sprach ihn ihr in abgehackten Worten aufs Band und bat sie, mich zurückzurufen. Dann holte ich aus dem Arbeitszimmer mein Lieblingsfoto von Gregor, stellte es auf den Wohnzimmertisch und entzündete eine Kerze daneben. Im Wechsel von Licht und Schatten schien Bewegung in Gregors Gesichtszüge zu kommen. Ich kniete mich vor den Tisch und strich mit den Fingern über das Foto. Die Tränen, die aus meinen Augen strömten, linderten für einen Moment den Druck in meinem Kopf.
    Ich stellte das Foto so, dass er mich ansah. » Wie konnte das geschehen, Gregor? Was ist mit dir geschehen? Sag es mir … bitte! « Mein Blick versuchte, Unmögliches zu erzwingen. » Du bist nicht gesprungen, das weiß ich. Nur … «
    Das Klingeln des Telefons schnitt mir das Wort ab. Isabelle war am

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