Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
Vom Netzwerk:
Tötungsdelikt –wenn wir schon dabei sind. «
    » Das ist genauso absurd wie ein Suizid. Ich kann mir niema n den vorstellen, der meinen Mann in die Tiefe stoßen würde. «
    » Die Vorstellung ist in solchen Zusammenhängen häufig ein Hindernis. « Ihr nachsichtiger Blick wandelte sich in einen professionellen. » Aber zugegebenermaßen is t d iese Art von Tötungsdelikt eher selten. Es gibt zu viele Unwägbarkeiten. «
    » Unwägbarkeiten? «, fragte ich irritiert.
    » Mögliche Zeugen zum Beispiel. Und dann … wenn Sie versuchen, jemanden über ein Balkongitter zu stoßen, müssen Sie mit Gegenwehr rechnen, damit, dass derjenige versucht, sich irgendwo festzuklammern. So etwas hinterlässt Spuren. «
    » Außer jemand hätte ihm plötzlich von hinten einen starken Stoß versetzt. Könnte man das bei einer Obduktion nachwe i sen? « Auch wenn mein Körper streikte –mein Kopf ließ mich nicht im Stich.
    » Frau Gaspary, Sie verrennen sich da gerade in etwas. Sie haben selbst gesagt, dass Sie sich nicht vorstellen können, jemand habe Ihren Mann umgebracht «
    » Am allerwenigsten kann ich mir vorstellen, dass er selbst seinem Leben ein Ende gesetzt haben soll. Ich möchte wissen, wie es geschehen ist. «
    » Genau das möchten wir auch. «
    Während wir sprachen, war Kai-Uwe Andres nach draußen gelaufen und hatte zwei zusammenklappbare Plastikkörbe geholt, die er im Arbeitszimmer mit Unterlagen füllte. Als er den ersten an mir vorbeitrug, wendete ich meinen Blick ab. Nachdem er auch den zweiten im Auto, das vor dem Haus parkte, verstaut hatte, blieb er vor mir stehen.
    » Frau Gaspary … Sie haben heute einen schweren Verlust erlitten. Ich denke, es ist besser, wir gönnen Ihnen jetzt etwas Ruhe. Wir werden uns morgen wegen weiterer Fragen mit Ihnen in Verbindung setzen. « Er machte seiner Kollegin ein Zeichen zum Aufbruch, als ihm noch etwas einzufallen schien. » Sollen wir un s d arum kümmern, dass ein Notfallseelsorger oder ein Arzt zu Ihnen kommt? «
    » Nein … danke. «
    » Können wir Sie wirklich allein lassen? «, fragte Felicitas Kluge.
    » Ich bin nicht allein «, antwortete ich mechanisch. » Jana ist da. «
    Ihr Blick drückte Protest aus, aber sie schwieg.
    » Ich habe nicht vor, mich an der Schulter meiner Tochter auszuweinen, falls Ihnen diese Vorstellung Sorge bereitet. « Ich registrierte meinen aggressiven Ton, konnte jedoch nichts gegen ihn ausrichten. » Was stellen Sie sich vor? Dass ich eine Freu n din anrufe, sie mich in den Arm nimmt und tröstet? Mein Mann ist tot, Frau Kluge. Er war erst dreiundvierzig Jahre alt. Da gibt es keinen Trost! Diese Tatsache lässt sich nicht erträglich reden. Sie ist verheerend … entsetzlich … « Mir versagte die Stimme.
    » Ich weiß. « Mit einem Nicken verabschiedete sie sich und folgte ihrem Kollegen, der froh zu sein schien, dieser Situation zu entkommen.
    4
    In dieser Nacht hatte ich einen Wettlauf gegen die Zeit bego n nen. Ich wusste, mit ihrem Zutun würde ich irgendwann zusammenbrechen, aber es gab noch zu viel zu tun. Ich durfte nicht schlapp machen.
    Vor ein paar Jahren, als wir uns während einer Wanderung verirrt hatten und der Rückweg sich endlos hinzuziehen schien und an meinen Kräften zehrte, hatte Gregor zu mir gesagt: Denk nicht an die Strecke, die vor dir liegt, Helen, sondern schau nur auf das kurze Stück Weg direkt vor deinen Füßen, dann schaffst du es.
    Und genau das tat ich jetzt. Ich schaute nur auf das kurze Stück Weg, das direkt vor mir lag, und ging weiter. Noch in der Nacht rief ich Gregors Stiefmutter Claudia an. Sie war als Einzige von seiner unmittelbaren Familie übrig geblieben. Gregors Vater war vor drei Jahren gestorben, seine Mutter, als er fünf Jahre alt war. Claudia –nur vier Jahre älter als Gregor –war die dritte Frau seines Vaters und seit Jahren meine Freu n din. Mein Anruf riss sie aus dem Tiefschlaf.
    Claudia Behrwald-Gaspary war eine gestandene Werbeman a gerin mit eigener Agentur. Sie beschäftigte knapp siebzig Mitarbeiter und verfügte über ebenso viel Selbstbewusstsein wie Gelassenheit. Ich hatte sie noch nie außer sich erlebt Selbst als ihr Mann gestorben war , hatte sie ihre Fassung bewahrt. Jetzt erlebte ich sie zum ersten Mal fassungslos.
    » Nein … « Wie konnte ein so knappes Wort einen so großen Schmerz enthalten? So viel Entsetzen? Und so viel Gewissheit über die katastrophale Wirkung von Gregors Tod? Ihr Wimmern ging in ein Schluchzen über. Sekundenlang waren nur

Weitere Kostenlose Bücher