Im Angesicht der Schuld
hatte, klingelte Mariele Nowak. Erleichtert öffnete ich ihr.
» Wenn ich Ihnen zu viel werde, sagen Sie es bitte ganz offen, Frau Gaspary «, bat sie mich und kam zögernd herein.
» Ich bin froh, dass Sie da sind. « Zweifelsohne zählte sie zu den Menschen, die mir gut taten. Obwohl ich sie kaum kannte, hatte ich Vertrauen zu ihr. Sie schien in jedem Moment zu wissen, was das Richtige war. » Nelli kommt um acht, sie wird sich um den Haushalt kümmern. Könnten Sie nachher vielleicht ein wenig mit Jana spazieren gehen? Sie soll außer Trauer und Tränen auch noch ein paar fröhliche Gesichter zu sehen b e kommen. «
» Jana und ich werden nach dem Frühstück auf den Spielplatz gehen. Was hältst du davon? « Sie ging in die Knie und sah sie fragend an.
Als Antwort erhielt sie einen Schwall unverständlicher Laute.
Mariele Nowak hörte aufmerksam zu, nickte dann und sagte: » Da gebe ich dir völlig Recht. « Während Jana begeistert an ihrem Haarknoten herumhantierte, wandte sie sich an mich. » Ich habe mir in den nächsten Tagen nicht viel vorgenommen, Sie können also gerne über meine Zeit verfügen. «
» Warum tun Sie das für uns, Frau Nowak? Wir kennen uns kaum und … «
» Für mich hat es auch einmal jemand getan und mir damit sehr geholfen. «
Bei ihren Worten wurde mir bewusst, dass ich so gut wie nichts über sie wusste. Nachdem sie vor etwas mehr als zwei Jahren ins Nachbarhaus gezogen war, hatte es lange gedauert, bis ich sie zum ersten Mal zu Gesicht bekam. In der ersten Zeit hatte sie sehr zurückgezogen gelebt und kaum je das Haus verlassen. Dann war ich diejenige gewesen, die sich zurückg e zogen hatte. So bestand unser Kontakt eigentlich erst seit einem Jahr. Bisher hatte er sich auf kurze Gespräche im Vorbeigehen beschränkt. Mein Blick fiel auf die beiden Eheringe, die sie am Finger trug und die mir vorher nie aufgefallen waren. » Ihr Mann? «, fragte ich.
» Er ist vor drei Jahren gestorben. «
» Kommt man je darüber hinweg? «
» Die Menschen sind verschieden «, antwortete sie vage. » Ma n chen reicht die Zeit. «
» Aber Ihnen nicht. « Es war keine Frage, sondern eine Festste l lung.
» Ich erwarte nicht zu viel von der Zeit. Ihre Möglichkeiten werden meiner Meinung nach auch häufig überschätzt. Für mich ist sie wie eine Betäubungsspritze, die unterdosiert ist: Sie kann dem Schmerz die Spitze nehmen, aber sie kann ihn nicht vollständig betäuben. «
Ich war ihr dankbar für ihre Offenheit. Sie redete nichts schön. Sie sagte nicht, die Zeit würde alle Wunden heilen. » Gewöhnt man sich an diesen Schmerz? «
Sie atmete hörbar aus. » Ja. Zeitweise vergisst man ihn sogar. «
Wir zuckten beide zusammen, als plötzlich Nellis fröhliches Guten Morgen erschallte. Ich drehte mich zu ihr um und starrte sie an, als sei sie ein Geist.
» Ich arbeite hier, Frau Gaspary, schon vergessen? «
Geräuschvoll ließ sie ihre Tasche fallen und stürzte auf Jana zu, die vor Begeisterung quietschte. » Wenigstens eine, die sich freut, mich zu sehen «, sagte sie vorwurfsvoll, während sie gleichzeitig Jana durchkitzelte. Das Kichern des Kindes war das einzige Geräusch in der Küche. Als Nelli das bewusst wurde, sah sie mich irritiert an. » Ist jemand gestorben? «
» Ja «, antwortete ich. Jedenfalls hatte ich dieses Wort im Sinn gehabt. Heraus kam ein gebrochener Laut. Ich räusperte mich. » Mein Mann ist tot. «
» Quatsch! « Ihr Blick erstarrte. » Über so etwas macht man keine Scherze, Frau Gaspary. Wenn Sie nur mal sehen wollen, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht, dann würde es auch reichen, mir eine Spinne vor die Nase zu halten. Wenn ich eine sehe, dann … «
Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. » Er ist tot, Nelli. «
Ihre Augen waren weit aufgerissen. » Nein … nicht Ihr Mann … «, stammelte sie.
» Er ist tot. « Ich hielt sie fest, bis ich nicht mehr wusste, wer von uns beiden sich an wem festhielt. Ihr Schluchzen ging in meinem unter.
Mariele Nowak nahm Jana an der Hand und verließ mit ihr die Küche.
Unfähig, ein Wort zu sagen, ließ Nelli sich irgendwann auf einen Stuhl sinken und sah mich Hilfe suchend an.
» Das ist nicht gerecht «, sagte sie nach Minuten des Schwe i gens. » Einfach nicht gerecht. Ich kenne jede Menge Menschen, um die es nicht schade wäre, aber Ihr Mann … der war immer so nett. Warum muss denn jemand wie er so früh sterben? «
» Das weiß ich nicht, Nelli. «
Sie strich sich eine tränenfeuchte
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