Im Angesicht der Schuld
Haarsträhne aus dem G e sicht. Unglücklich irrte ihr Blick umher. » Und ich habe mich immer geweigert, ihn Gregor zu nennen. Aber das war nur, weil ich einen Heidenrespekt vor ihm hatte. «
» Ich bin sicher, das hat er verstanden. « Ich setzte mich zu ihr und nahm ihre Hand in meine. » Nelli, wenn du magst, dann gehst du jetzt wieder nach Hause … «
Erst schien sie nicht zu verstehen, worauf ich hinauswollte, doch dann durchfuhr sie die Erkenntnis wie ein Blitz. » Auf gar keinen Fall! « Entschlossen wischte sie sich die verschmierte Wimperntusche von der Wange.
» Ich lasse mich von Ihnen nicht fortschicken. Ihr Mann hätte gewollt, dass ich mich um Sie kümmere, da bin ich mir ganz sicher. «
Der Anflug eines Lächelns verirrte sich in meine Mundwinkel.
Entschlossen erhob sie sich von dem Stuhl. » Ich werde tun, was ich immer tue: putzen! «
» Mein Mann hat gewollt, dass du eine vernünftige Ausbildung machst. « Am Abend meines Geburtstages hatten wir zuletzt darüber gesprochen. Ich hatte nicht gewusst, dass ich nie wieder einen Geburtstag mit Gregor feiern würde. Hatte er es gewusst? Hatte er mir deshalb diesen Anker geschenkt? Ich nahm ihn in die Hand und wünschte mir, er könne antworten.
Nellis Worte drangen an mein Ohr, aber es dauerte einen Moment, bis sie mich erreichten. » Es ist nicht fair, das gerade in diesem Zusammenhang zu erwähnen, Frau Gaspary. Das klingt gerade so, als würde ich den letzten Wunsch eines Verstorbenen nicht respektieren. «
» Weißt du was, Nelli? Ich würde etwas dafür geben zu wissen, was sein letzter Wunsch war. «
W ie oft würde ich den beiden noch gegenübersitzen? Wie viele Fragen würden sie mir noch stellen, bis sie endlich herausfan den, was mit Gregor geschehen war? Wann würden sie ihn aus dem gerichtsmedizinischen Institut entlassen, damit ich ihn begraben konnte?
» Frau Gaspary, es gibt noch ein paar wichtige Fragen. « Kai-Uwe Andres hatte ein Notizbuch auf den Knien, in dem er konzentriert vor-und zurückblätterte. Seine Kollegin sah ihm von der Seite dabei zu. » Ich möchte noch einmal auf Ihre Ehe zu sprechen kommen. Wie Sie sagten, haben Sie vor sechs Jahren geheiratet.
Hatte Ihr Mann während dieser Zeit außereheliche Beziehu n gen? «
Gab es außer dem Unfall noch etwas, von dem ich nichts wusste? Es war ihnen gelungen, mich zu verunsichern, aber das merkten sie hoffentlich nicht. » Aus der Tatsache, dass mein Mann mir nichts von diesem Unfall erzählt hat, sollten Sie keine falschen Schlüsse ziehen. «
Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper.
» Beantworten Sie bitte meine Frage. «
» Nein «, sagte ich mit Nachdruck. » Er hatte keine außerehel i chen Beziehungen. «
» Kennen Sie eine Franka Thelen? «
Ich strengte meinen Kopf an, erinnerte mich aber nicht, diesen Namen jemals zuvor gehört zu haben.
» Nein. Wer ist diese Frau? «
» Sie ist diejenige, die den Kinderwagen schob, als es zu dem Unfall kam. «
» Die Mutter des Kindes … «, sagte ich betroffen.
» Sie war eine Freundin der Mutter. Und wie uns die Mitarbe i terinnen Ihres Mannes sagten, kam sie hin und wieder in die Kanzlei, um Ihren Mann abzuholen. Das Verhalten der beiden habe auf eine gewisse Vertrautheit schließen lassen. «
» Er soll mit ihr ein Verhältnis gehabt haben? «
Zum Zeichen, dass sie gedachte, meine Frage zu beantworten, legte Felicitas Kluge ihrem Kollegen die Hand auf den Arm. » Keiner von uns unterstellt Ihrem Mann und Frau Thelen ein Verhältnis. Das tun auch Frau Lorberg und Frau Grooth-Schulte nicht. Und Frau Thelen hat uns zu verstehen gegeben, dass das Verhältnis zu Ihrem Mann rein freundschaftlicher Natur war. «
» Dann verstehe ich nicht, worum es Ihnen eigentlich geht «
» Es geht uns darum herauszufinden, ob Sie wussten, dass Ihr Mann sich mit dieser Frau traf. Von dem Unfall hat er Ihnen nichts erzählt, da liegt die Vermutung nahe, dass er Ihnen auch von Franka Thelen nichts gesagt hat. «
» Ja und? « Jetzt hatte sie mich vollständig irritiert.
» Sie könnten von dieser Beziehung erfahren und sie falsch interpretiert haben. «
Schlagartig wurde mir klar, worauf sie hinauswollte. Für Sekunden verschlug es mir die Sprache. Dann packte mich unbändige Wut. » Sind Sie noch ganz bei Trost? Was unterste l len Sie mir hier? Dass ich meinen Mann vom Balkon gestoßen habe, weil ich glaubte, er hätte ein Verhältnis? «
» Wir ermitteln in alle Richtungen, Frau Gaspary «, erwiderte der Beamte. »
Weitere Kostenlose Bücher