Im Angesicht der Schuld
haben wir über nichts anderes gesprochen. In letzter Zeit hatte ich allerdings das Gefühl, dass sich die Wogen in seinem Inneren etwas geglättet hatten. Er hat kaum noch von dem Thema angefangen. « Er schwieg. » Vielleicht habe ich gerade das falsch interpretiert. «
» Was meinst du damit? «, fragte ich verunsichert.
» Vielleicht hat Gregor sich in sich zurückgezogen, vielleicht haben sich die Wogen gar nicht geglättet, vielleicht war genau das Gegenteil der Fall. «
Seine Worte versetzten mir einen Stich. Von all dem sollte ich nichts bemerkt haben? » Du hältst es also für möglich, dass er sich umgebracht hat? «
» Ich denke seit Tagen darüber nach. «
Mir war, als würde ich aus einer Wolke fallen, deren schü t zender Hülle ich mir bis vor ein paar Sekunden noch völlig sicher gewesen war. Gregors bester Freund hielt also einen geplanten Sprung vom Balkon für möglich. Einen schmerzhaft e ren Schlag hätte er mir kaum versetzen können. Ich schnappte nach Luft.
» Helen … ich bin Arzt … ich muss eine solche Möglichkeit in Betracht ziehen. «
» Du bist … du warst sein Freund. «
» Ich bin auch dein Freund, und deshalb will ich dir nichts vormachen. «
» Hast du von dieser Möglichkeit, die du in Betracht ziehst, auch der Kripo erzählt? «
» Sie haben mich nach meiner Einschätzung gefragt. «
» Also ja «, sagte ich traurig.
» Helen, Gregor ist tot, damit müssen wir uns alle abfinden. Manchmal denke ich, dass wir der Ursache für seinen Tod zu viel Gewicht beimessen und mit der Grübelei die Trauer verdrängen. Das ist nicht gut. Wir sollten der Polizei die Beantwortung der Fragen, die Gregors Tod aufwirft, überla s sen. «
» Das kann ich nicht! Du hat selbst erlebt, welche Hirngespi n ste die sich zusammenreimen. «
» Ach, das «, tat er meine Bedenken ab. » Das solltest du nicht überbewerten. Außerdem gibt es ja tatsächlich eine Menge Menschen, die im Streit von ihnen nahe stehenden Personen umgebracht werden. Deshalb sind auch weder Ehefrauen noch Freunde als Verdächtige auszuschließen. «
» Mich haben sie auch nach meinem Alibi gefragt. Hätten sie eine Vorstellung von unserem Verhältnis gehabt, dann … « Die Worte blieben mir im Hals stecken, wo sich bereits wieder ein dicker Kloß breit gemacht hatte. Joost ließ mir Zeit. Ich schluc k te gegen diesen Kloß an und drängte die Tränen zurück. » Sie wissen, dass Gregor mir nichts von dem Unfall gesagt hat. Sie wissen, dass er mir nichts von seinen Treffen mit Franka Thelen erzählt hat. Wahrscheinlich … «
» Wer ist Franka Thelen? «, unterbrach er mich.
» Die Frau, die den Kinderwagen geschoben hat. Si e i st eine Freundin der Mutter des toten Babys. Die Kripo hält es für möglich, dass ich Gregor aus Eifersucht … «
» Helen «, versuchte er, mich zu beruhigen, » um solche Geda n kenspiele kommen die Beamten nicht herum. Würden sie sie scheuen, wären sie schlechte Polizisten. «
» Hat Gregor sich von irgendjemandem bedroht gefühlt, Joost? «
» Diese Frage hat die Kripo mir auch schon gestellt. Wenn es tatsächlich eine Bedrohung gegeben hat, dann ist Gregor sich dessen nicht bewusst gewesen. Andernfalls hätte er ganz bestimmt mit mir darüber gesprochen. «
» Er hat dir ganz offensichtlich auch nichts von seinen Treffen mit dieser Frau Thelen gesagt «, hielt ich ihm mit einem Anflug von Resignation entgegen.
» Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung. Er konnte mir schlecht Vorhaltungen machen und selbst gegen die Regeln verstoßen. «
» Du glaubst, er hatte ein Verhältnis mit ihr? « Von einer S e kunde auf die andere war mir meine Stimme entglitten.
» Was glaubst du, Helen? «
Ich holte tief Luft. » Ich glaube nicht, dass Gregor ein Verhäl t nis hatte, weder mit dieser noch mit einer anderen Frau. Aber an etwas zu glauben, hilft mir im Moment nicht weiter. Ich muss mich an die Tatsachen halten. Alles andere fühlt sich an wie eine Wanderung über Treibsand. «
Am Wochenende hatte ich Tag und Nacht damit zugebracht, Gregors Beerdigung vorzubereiten. Meine Nachbarin hatte ihr Versprechen gehalten und mich nach Kräften unterstützt. Während sie sich um Jana küm merte, half Claudia mir beim Adressieren der Umschläge. Als sie in meinem Adressbuch bei Fees Namen ankam, sah sie auf.
» Hast du mit Fee sprechen können? «, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. » Sie wird sich erst in drei Wochen melden. In dem Kloster kann man sie nicht erreichen. Kurz vor
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