Im Angesicht der Schuld
bekommen. «
» Erzählen Sie mir von Ihrer Depression «, forderte sie mich auf. Ihr offener Blick machte mir Mut.
Es war schwer, all das wieder hervorzuholen. Ich hatte g e glaubt und gehofft, es weit hinter mir gelassen zu haben. Nun drohte es mich einzuholen. Stockend begann ich zu erzählen: » Es begann fünf Tage nach der Geburt unserer Tochter. Ich konnte nicht mehr schlafen, war unruhig und hatte Schwieri g keiten, mich zu konzentrieren. Jana spürte wohl meine Unruhe, schrie sehr viel und schlief nie lange durch. Mein Mann und ich hatten uns so sehr auf Jana gefreut. Zweifellos hatte ich eine etwas verklärte Vorstellung von dem Leben mit einem Säugling. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass mich diese Situation überfordern könnte. Bis zu Janas Geburt hatte ich mich als kompetent und effektiv gesehen. Und plötzlich schien ich gar nichts mehr zu können. Allein unsere Tochter temperaturgerecht zu kleiden stellte sich für mich als Problem heraus. Mit dem Stillen klappte es nicht, und ich grübelte unentwegt. Natürlich hörte ich auch von anderen Müttern, dass sie den ganzen Tag nicht dazu kamen, sich zu duschen und anzuziehen. Aber dieses Wissen half mir nicht. Ich war unsagbar erschöpft und gleichze i tig umtriebig. Mir wurde von Tag zu Tag bewusster, dass ich Jana keine Sekunde aus den Augen lassen, dass ich nicht mehr ohne sie aus dem Haus gehen konnte. Ich fühlte mich wie im Gefängnis mit einem schreienden, nicht zu beruhigenden Säugling. « Diese Phase erstand vor meinen Augen wieder auf, als wäre es gestern gewesen. » Ich liebte mein Kind, glaubte aber, ihm nicht geben zu können, was es braucht. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, grübelte vierundzwanzig Stunden am Tag darüber nach, ob unsere Tochter nicht bei Adoptiv-oder Pflegeeltern besser aufgehoben wäre. « Ich wischte mir die Tränen aus de m G esicht und putzte mir die Nase. » Sechs Wochen dauerte es, bis ich in eine Klinik kam. Mein Mann hatte bis dahin alles versucht, um mir zu helfen. Er stand nachts auf und kümmerte sich um Jana. Aber es nützte nichts –ich konnte längst nicht mehr schlafen, nicht mehr essen und fühlte mich leer und ausgebrannt. «
» Das war sicher eine sehr schwere Zeit für Sie, Frau Gaspary. Wie lange waren Sie in dieser Klinik? «
» Vier Monate. «
» Wer hat in dieser Zeit für Ihre Tochter gesorgt? «
» Mein Mann und eine junge Erzieherin aus der Nachbarschaft, die gerade arbeitslos geworden war. «
» Hat sie Sie auch weiter unterstützt, als Sie aus der Klinik kamen? «
» In der ersten Zeit schon. Dann habe ich beschlossen, mich alleine weiter um Jana zu kümmern und dreimal in der Woche eine Haushaltshilfe zu engagieren. Außerdem hat mein Mann in dieser Zeit versucht, weniger zu arbeiten. «
» Ihre Tochter ist jetzt eineinhalb, dann ist es ungefähr ein Jahr her, dass Sie aus der Klinik entlassen wurden. «
» Ja. «
» Und Sie hat nie die Angst verlassen, dass die Depression wiederkommt. «
Ich nickte. » Hätte ich diese Angst nicht, wäre ich vielleicht jetzt schwanger «, sagte ich traurig. » Mein Mann und ich hätten sehr gerne ein zweites Kind gehabt, aber wir wollten zur Sicherheit noch warten. Das Risiko eines Rückfalls erschien uns beiden viel zu groß. Und nun –seit dem Tod meines Mannes –habe ich entsetzliche Angst, dass mich diese Krankheit wieder einholt. «
» Diese Angst teilen Sie mit jedem Menschen, der einmal eine Depression hatte. Und ich würde Sie belügen, wenn ich behau p tete, eine weitere Schwangerschaft sei in dieser Hinsicht ohne Risiko. Möglicherweise würden Sie ein zweites Mal Opfer Ihrer Hormone. Aber jetzt sind Sie in einer völlig anderen Situation. Fühlt es sich in Ihrem Inneren tatsächlich genauso an wie nach der Geburt Ihrer Tochter? «
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und schloss die Augen. » Ich fühle mich wie gelähmt, ich kann nicht schlafen, habe keinen Appetit … es ist wie damals. «
» Erzählen Sie mir, was Sie in den vergangenen Tagen gemacht haben. «
» Eigentlich habe ich mich nur um die Vorbereitung von Gr e gors Beerdigung gekümmert. «
» Hätten Sie etwas Vergleichbares geschafft, als Sie depressiv waren? «
Ich dachte über ihre Frage nach. » Nein, wahrscheinlich nicht «, antwortete ich schließlich.
» Wenn Sie an Ihren Mann denken, was fühlen Sie dann? «
» Eine bodenlose Traurigkeit. «
» Und wenn Sie Ihre Tochter ansehen? «
» Auch Traurigkeit. Sie wird ohne ihren
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