Im Angesicht der Schuld
wenn alles nichts nützt, können wir darüber nachdenken, medikamentös nachzuhelfen. «
G regors Beerdigung würde am Donnerstag sein. Am liebsten hätte ich ihn nur im engsten Familien-und Freundeskreis zu Grabe getragen. Die Vorstellung, vielen Menschen begegnen zu müssen, war beängstigend. Aber ich hatte nicht das Recht, anderen die Möglichkeit vorzuenthalten, von Gregor Abschied zu nehmen.
Nach der Beerdigung würde ich meinen Mann aus seinem Leben » abmelden « müssen. Ich hatte bereits damit angefangen, eine Liste zusammenzustellen, aber es fiel mir schwer, mich darauf zu konzentrieren. Als meine Gedanken immer wieder zu der Frage schweiften, was vo r e iner Woche tatsächlich auf dem Balkon der Kanzlei geschehen war, rief ich Gregors Mitarbeit e rin Kerstin Grooth-Schulte an.
» Können Sie mir bitte noch einmal den Namen der Mandantin nennen, die am Todestag meines Mannes um siebzehn Uhr dreißig einen Termin bei ihm hatte? «
» Moment, Frau Gaspary, ich schaue nach. « Ich hörte sie blä t tern. » Hier habe ich es: Sie heißt Barbara Overbeck. «
» Haben Sie eine Adresse oder eine Telefonnummer von ihr? «
» Ich habe beides. « Sie diktierte mir die Daten.
» War sie schon öfter bei meinem Mann gewesen? «
Wenn ja, dann kannte sie ihn vielleicht so gut, dass sie eine extreme Stimmungslage bei ihm wahrgenommen hätte. Obwohl mir ein Suizid, je länger ich darüber nachdachte, immer unwah r scheinlicher erschien, wollte ich aus dem Mund dieser Frau hören, dass mein Mann guter Dinge gewesen war.
» Soweit ich weiß, war sie am Todestag Ihres Mannes erst zum zweiten Mal bei ihm. Am Donnerstag vor seinem Tod hatte sie ihren ersten Termin gehabt. «
» Ach so «, sagte ich enttäuscht.
Kerstin Grooth-Schulte hatte schnell begriffen, worauf ich hinauswollte. » Tut mir Leid, Frau Gaspary, dass ich keine besseren Informationen für Sie habe. Aber wer weiß … vie l leicht ist es trotzdem sinnvoll, mit ihr zu sprechen. «
» Das kann ich mir kaum vorstellen. «
» Ihr Mann hat immer gesagt: lieber ein Gespräch zu viel als eines zu wenig. «
Ich machte keinen Hehl aus dem unangenehme n G efühl, das dieser Satz bei mir hinterließ. » Vielleicht ist ihm genau das zum Verhängnis geworden. «
H atte Gregor ein Gespräch zu viel geführt? Und wenn ja, mit wem hatte er dieses Gespräch geführt? Ich rief Felicitas Kluge an und fragte sie nach neuen Erkenntnissen. Sie sagte mir, dass sie dabei seien, Gregors Gerichtsprozesse unter die Lupe zu nehmen. Möglicherweise würden sie dabei auf Mandanten stoßen, die sich ungerecht behandelt gefühlt und Drohungen ausgesprochen hatten.
» Haben Sie eigentlich schon mit Gregors vorletzter Manda n tin, einer Barbara Overbeck, gesprochen? «, fragte ich.
» Selbstverständlich, aber sie konnte uns nichts Erhellendes sagen. Von dem Telefonat, das er während der Besprechung führte, hat uns bereits Frau Grooth-Schulte in Kenntnis gesetzt. Frau Overbeck hat es nur noch einmal bestätigt. «
Mein Gehirn ratterte wie eine Rechenmaschine. » Dieser Anruf war um Viertel nach sechs. Gregor soll gesagt haben: Dann also in zehn Minuten hier. Wenn sein Besucher pünktlich war, dann müsste ihn diese Mandantin, die erst um halb sieben beim Verlassen der Kanzlei beobachtet wurde, gesehen haben. «
» Diese Frage haben wir geklärt. Solange sie in der Kanzlei war, hat nur die Sekretärin kurz hereingeschaut. Das ist gegen Ende des Gesprächs gewesen. Ansonsten ist niemand geko m men. Und draußen hat sie niemanden bewusst wahrgenommen. «
» Hat sie etwas über das Gespräch mit meinem Mann gesagt? «
» Es ging um eine Vaterschaftsklage, wie sie sagte. Details hat sie keine genannt. «
» Hat sie etwas über die Verfassung meines Mannes gesagt? «
» Sie hat ihn als angespannt empfunden «, sagte sie nach ku r zem Zögern.
» Das reicht nicht als Gemütsverfassung, um sich zwei Stunden später vom Balkon zu stürzen! Ich kenne niemanden, der nachvollziehen kann, dass mein Mann sich das Leben geno m men haben soll. «
» Frau Gaspary … das ist kein Beweis. «
» Was wäre denn ein Beweis? «
» Der Negativausschluss, das heißt, wenn wir einen Täter fänden. «
A ls Jana ihren Mittagsschlaf beendet hatte, zog ich sie an und ging mit ihr in den Innocentiapark. Es kostete mich große Überwindung, dieses normale Leben wieder aufzunehmen, all die anderen Frauen mit ihren Kindern zu sehen, deren Männer und Väter am Abend wieder nach Hause
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