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Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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habe ich ihr einen üblen Schlag versetzt. » Merkst du eigentlich gar nicht, wie sehr du dich mit solchen Aussprüchen über mich erhebst? Wie hochmütig das ist? « Sie nutzte meine Sprachlosigkeit, um sich Luft zu machen. » Hast du nur ein einziges Mal einen Gedanken daran verschwendet, wie es in mir aussieht, wenn du so etwas sagst? Ich habe nämlich, wie du sehr gut weißt, einen Mann, der Fremdgehen zum Sport erhoben hat. Ich bin eines dieser armen, bemitleidenswerten Geschöpfe, die mit dieser Tatsache zurech t kommen müssen, ob sie wollen oder nicht. « Irgendetwas in meinem Blick schien ihr Einhalt zu gebieten. Vielleicht war es aber auch ihre innere Stimme, die sich Gehör verschaffte. Von einer Sekunde auf die andere sank sie in sich zusammen. Vor Schreck über ihre eigenen Worte schlug sie die Hände vors Gesicht, um sie dann im Zeitlupentempo so weit sinken zu lassen, dass sie mich ansehen konnte. » Entschuldige, Helen, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ic h b in hergekommen, um dir in deinem Kummer beizustehen, und was mache ich? «
    Mich in Grund und Boden stampfen, antwortete ich im Stillen.
    Sie sah mich flehentlich an. » Ich könnte verstehen, wenn du mir jetzt unsere Freundschaft kündigst. «
    » Im Moment befinden wir uns alle in einer Ausnahmesi tuat i on «, sagte ich müde. » Vielleicht ist es normal, dass da Worte fallen, die man später bereut. « Ich hatte an diesem Tag selbst nicht gerade ein Beispiel an Fairness abgegeben. Franka Thelen würde davon ein Lied singen können.
    Annette gewann zusehends ihre Fassung wieder.
    » Eigentlich hatte ich nur über Gregor mit dir reden wollen. Ist die Polizei mit ihren Ermittlungen schon weitergekommen? Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, wie es zu diesem Sturz geko m men ist? «
    Ich schüttelte den Kopf. » Nein. Wenn nicht noch von irgen d woher neue Hinweise kommen, dann werden sie sicherlich den Schluss ziehen, dass Gregor sich umgebracht hat. «
    » Und wenn es tatsächlich so war? «, fragte sie angespannt.
    Ich gab mir Mühe, Ruhe zu bewahren. » Von Gregors Persö n lichkeit einmal ganz abgesehen, gibt es in meinen Augen etwas, das ganz klar gegen einen Suizid spricht. Wenn er aus freien Stücken gesprungen ist, warum hätte er dann schreien sollen? «
    » Aus einem Reflex heraus. «
    » Warum hätte er die kleine Fußleiter an die Brüstung stellen und auch noch die Fingerabdrücke abwischen sollen? Warum hätte er darüber hinaus gegen die Brüstung rennen sollen, damit es aussah, als sei er dagegengeprallt? Die Kripo meint, er habe Fremdeinwirkung vortäuschen wollen, damit die Lebensver s i cherung, die er vor eineinhalb Jahren abgeschlossen hat, zahlt. Aber das ergibt alles keinen Sinn. Gregor war ein logisch denkender Mensch. Wenn er tatsächlich seinen Suizid hätte kaschieren wollen, dann hätte er sich für eine Version entschi e den –entweder für die mit der Trittleiter oder für die mit dem Anprall, aber nicht für beide. Hältst du es nicht für denkbar, dass ihm jemand einen kräftigen Stoß versetzt und dieser Jemand dann die Trittleiter auf den Balkon gestellt hat, um einen Suizid vorzutäuschen? Dann wäre es auch logisch, die Fingerabdrücke abzuwischen. Wozu hätte Gregor sie abwischen sollen? «
    » Um darüber hinwegzutäuschen, dass ausschließlich seine auf dem Griff der Leiter zu finden waren. «
    8
    Ich konnte mich nicht erinnern, jemals in einer Lebenssituat i on gewesen zu sein, in der ich von einem Extrem ins andere schwankte. In der einen Minute zog ich in Betracht, dass mir die notwendigen Informationen fehlten, um Gregors Verfassung vor seinem Tod richtig zu beurteilen. In der anderen war ich überzeugt, dass nur eine fremde Hand seinen Tod herbeigeführt haben konnte. Dieses Wechselbad war schwer zu ertragen und verunsicherte mich zusehends. Ich hatte Angst, mich darin zu verlieren.
    » Wie geht es Ihnen? «, fragte mich Eliane Stern, als ich ihr am Dienstagvormittag in ihrer Praxis gegenübersaß.
    » Ich wünschte, ich wäre gefühlstot. «
    » Was würde das ändern? «
    » Vielleicht würde ich das alles dann überstehen. Es gibt M o mente, da glaube ich, diesen Schmerz, die Trauer nicht mehr aushalten zu können. Ich habe Angst … «
    Sie ließ mir Zeit. Als ich nicht weiter sprach, fragte sie:
    » Wovor haben Sie Angst, Frau Gaspary? «
    » Ich habe Angst, wieder … « Ich holte tief Luft und griff gleichzeitig nach dem Anker um meinen Hals. » Ich habe Angst, wieder eine Depression zu

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