Im Angesicht der Schuld
Tür öffnete, streckte sie mir sofort erwar tungsvoll ihre Ärmchen entgegen. Ich nahm sie hoch und drückte ihr einen Kuss auf die Nase.
» Guten Morgen! « Ich erwiderte ihr Lächeln. » Es interessiert dich vielleicht, dass deine Mama heute Nacht sieben Stunden geschlafen und heute Morgen ein ganzes Brot gegessen hat. Das ist ein Anfang, Jana. «
Sie griff nach dem Anker um meinen Hals und zog daran.
Behutsam löste ich ihre kleinen Finger. » Den brauche ich noch, meine Süße. «
O bwohl an diesem ersten Tag im November unwirtliches Schmud delwetter herrschte, entschloss ich mich zu einem Ausflug mit Jana. Ich fuhr mit ihr in den Jenisch -P ark, genauer gesagt zu der Gedenktafel für Tonja Westenhagen. Sich die Erinnerungen an ein totes Mädchen anzusehen, war zwar eine eher zweifelhafte Ablenkung, aber ich konnte einfach nicht zu Hause sitzen und auf Joosts oder Annettes Anruf warten. In den vergangenen zwölf Stunden hatte ich drei Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen, aber nichts von ihnen gehört. Was auch immer das zu bedeuten hatte.
Die Tafel stand vor einem gewaltigen Rhododendron. Hinter Glas wurde auf die ungeklärten Umstände von Tonjas Tod hingewiesen und nach Zeugen gesucht. Ich trat näher an die Tafel heran und betrachtete die Fotos. Sie zeigten ein junges Mädchen, das der Welt die Stirn zu bieten schien. Ich glaubte, in ihrem Blick eine Mischung aus Neugierde und Übermut zu entdecken. Aber vielleicht interpretierte ich das auch nur hinein. Sicher war ich nur, dass ich sie außer auf dieser Tafel nie zuvor gesehen hatte.
Auf dem Rückweg fuhr ich mit Jana zum Friedhof. Ich hatte in der Friedhofsgärtnerei frische Blumen gekauft und Jana sie tragen lassen. Als ich sie bat, die Blumen vor das Holzkreuz zu legen, veranstaltete sie einen mittelschweren Aufstand. Allem Anschein nach war sie nicht bereit, die Blumen wieder he r zugeben. Der Flunsch, der in den vergangenen Tagen zu ihrer Geheimwaffe geworden war, zeitigte auch jetzt Wirkung. Ich ließ ihr die Blumen und besorgte neue für Gregors Grab.
Als ich später mit Mariele Nowak zu Mittag aß, erzählte ich ihr von meiner Sorge, Jana zu viel durchgehen zu lassen. » Ich will nicht, dass sie so ein verwöhntes Kind wird, andererseits hat sie ihren Vater verloren. Ich finde den Mittelweg nicht. «
Der Blick meiner Nachbarin strahlte wie immer Wärme aus. » Ihr Mann ist gerade mal drei Wochen tot, Frau Gaspary, erwarten Sie nicht zu viel von sich! Sie beide befinden sich in einer Ausnahmesituation. Zwar habe ich keine Kinder, trotzdem sagt mir mein gesunder Menschenverstand, dass eine vorübe r gehende Inkonsequenz und ein wenig Verwöhnpro gramm Jana nicht gleich von ihrem guten Weg abbringen werden. Ich glaube auch nicht, dass dadurch Weichen gestellt werden, deren Richtung man später nicht wieder ändern könnte. « Zärtlich strich sie Jana mit dem Zeigefinger über den Handrücken und erntete dafür ein unwiderstehliches Mausezahnlächeln. » Haben Sie Ihre Freundin eigentlich mal gefragt wegen dieser besond e ren Kleidungskombination? «
» Habe ich «, antwortete ich mit einem Seufzer.
» Das klingt nach Ärger. «
» Sie ist ziemlich wütend geworden, als ich die Sache ang e sprochen habe. «
Mariele Nowak hob staunend eine Augenbraue. » Hat sie ein schlechtes Gewissen? «
» Es hat fast den Anschein. Ich weiß nicht, ob es wegen dieser Kleidungsstücke ist, aber die Kripo hat sie gestern ziemlich lange vernommen. Wenn ich bis heute Abend nichts höre, gehe ich bei Annette vorbei. Ich will endlich wissen, was los ist. Grundlos werden die sie dort bestimmt nicht festgehalten haben. «
» Halten Sie es für möglich, dass Ihre Freundin etwas mit dem Tod Ihres Mannes zu tun hat? « Ihr Blick fragte in diesem Fall mehr als ihre Worte.
» Wenn ich die Fakten betrachte –den verschwiegenen Anruf und ihr Outfit –, kann ich die Möglichkeit nicht ganz von der Hand weisen. Andererseits ist sie meine Freundin, ihr Mann war Gregors bester Freund. Und ich sehe beim besten Willen kein Motiv. «
» Ist Ihre Freundin glücklich in ihrer Ehe? «
» Die beiden hatten nichts miteinander, Frau Nowak. Es gibt Dinge, von denen Gregor mir nichts erzählt hat. Trotzdem bin ich mir sicher, dass er mich nicht betrogen hat. «
» Das muss er gar nicht. Was, wenn sie sich in ihn verliebt, er sie jedoch abgewiesen hat? «
Ich dachte darüber nach und schüttelte dann den Kopf.
» Nein. Annette hat ausschließlich Augen
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