Im Angesicht der Schuld
amüsieren, reizte mich jedoch nicht. Erst als ich zunehmend unglücklicher wurde, bemerkte ich, dass auch die Achtung vor dem anderen in Patricks Augen keine notwendige Säule für unsere Ehe war.
Meine Freundin Fee, der ich mich anvertraute, beschwor mich vergebens, meinen Mann noch am selben Tag zu verlassen. Mit diesem Blender, wie sie ihn nannte, würde sie keine Minute länger unter einem Dach leben wollen. Nur: Ich war noch nicht soweit, meine Sachen zu packen und zu gehen.
Aber ich erinnerte mich an Gregor. Immerhin hatte er mich schon einmal über unglückliche Zeiten hinweggetröstet. Warum nicht auch dieses Mal? Da ich weder zu ihm nach Hause noch in seine Kanzlei gehen wollte, hörte ich mich um, wo er in der Regel anzutreffen war. Drei Tage lang setzte ich mich in meiner Mittagspause in sein Lieblingscafé, bis er endlich auftauchte. Wohlweislich hatte ich jedes Mal einen Platz freigehalten, so auch an diesem Tag. Er musste den Stuhl unweigerlich anste u ern, da kein anderer mehr frei war.
» Hallo « , sagte er, stellte seinen Kaffeebecher auf den Tisch und setzte sich zu mir. » Schön, dass du mir den Platz freigeha l ten hast. «
» Wie kommst du darauf, dass …? «
» Dass du auf mich gewartet hast? « , fragte er mit ungerührter Miene. » Das ist mir zugetragen worden. «
» Wieso habe ich dann so lange auf dich warten müssen? Hast du so viele Scheidungen zu bearbeiten? «
Er lachte. » Das Familienrecht besteht zum Glück nicht nur aus Scheidungen. Aber wenn du möchtest, dass ich deine in Angriff nehme, steht dem nichts im Wege. «
» Auch nicht deine Solidarität mit Patrick? «
» Um mich mit Patrick solidarisch zu erklären, müsste ich meine Überzeugungen verleugnen. Und das habe ich nicht vor. «
Mein Blick wanderte von seinem Gesicht, das völlig entspannt wirkte, zu seinen Händen. Erstaunt registrierte ich, dass er immer noch keinen Ring trug. Seine Entscheidungsfreude schien im letzten halben Jahr nicht gewachsen zu sein. » Wo waren deine Überzeugungen, als du seinen Ehevertrag entworfen hast? « , fragte ich.
» Sie waren sehr präsent, wie immer. Sonst wäre ein anderer Vertrag dabei herausgekommen. «
» Erwartest du jetzt meinen Dank? «
Sein Kopfschütteln war kaum wahrnehmbar. » Ich würde gerne wissen, warum du hier bist. «
Wie sollte ich ihm sagen, dass ich ihm mein Herz hatte au s schütten wollen? Aus einem mir unerfindlichen Grund schien es mir in diesem Augenblick nicht angebracht zu sein. » Um der alten Zeiten willen « , wand ich mich eher ungeschickt heraus.
» Hatten wir die je? «
Ich überging seine Frage. » Warum hast du mich warten la s sen? «
» Vielleicht, um dir vor Augen zu führen, wie das ist … dieses Warten. «
Unwillkürlich runzelte ich die Brauen. » Gregor, manchmal bist du mir wirklich ein Rätsel. «
Er beugte sich vor und sah mich mit einem Blick an, der mich verwirrte. » Dann erlöse mich « , sagte er leise.
Irgendwie war meine Hand in seiner gelandet. Wie gebannt starrte ich auf zehn ineinander verschlungene Finger und geriet völlig aus dem Konzept. » War das jetzt ein Freud ’ scher Ve r sprecher? « , fragte ich, nachdem meine Hand wieder sicher in meinem Schoß lag.
» Nein! «
D rei Wochen waren seit Gregors Tod vergangen und noch immer gab es keine Klarheit über die Geschehnisse an jenem Abend. Meine Schwester rief am Montagvormittag an und erkundigte sich erwartungsvoll nach den Ermittlungsfort schri t ten der Kripo. Ihre Enttäuschung war unüberhörbar, als ich ihr von dem wenigen berichtete, das sich in der Zwischenzeit ergeben hatte. Die Recherche zu Tonja Westenhagen hielt sie intuitiv für eher unbedeutend, während sie bei der Frau mit der Elfentasche aufhorchte.
» Das herauszufinden, dürfte nicht allzu schwierig sein «, sagte sie aufgeregt. » So eine teure Tasche geht ganz bestimmt nicht jeden Tag über den Ladentisch. Vielleicht ist Ende der Woche der Spuk vorbei, Helen, und dann … « Isabelle verstummte.
Ja, was würde dann sein? Ich mochte mir die Zukunft nicht vorstellen. Ich wollte nicht weiter denken als bis zum nächsten Tag. » Und dann? Dann gehe ich weiter, Isa. Schritt für Schritt, den Blick auf das kleine Stück Weg vor mir gerichtet « , wiede r holte ich Gregors Worte und spürte seinen Anker in meiner Hand.
» Meine tapfere große Schwester «, flüsterte sie ins Telefon.
» Ich weiß nicht, ob ich genauso tapfer wäre, wenn es Jana nicht gäbe. «
» Was macht meine
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