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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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gesehenen, auch der Titulus war identisch. Als es zur vollen Größe aufgerichtet war, senkte sich von der Decke eine Art herab, der sich oberhalb des Kreuzes aufrichtete. Aus dem Lautsprecher erscholl Hendersons Stimme:
    «Jesus von Nazareth, geboren, gekreuzigt und gestorben. Und heute wieder auferstanden.»
    Im gleichen Moment wurde das Antlitz eines jungen Mannes auf den Baldachin projiziert. Es war ein längliches Gesicht, die Augen standen seltsam eng beieinander. Die Nase war lang und ausgeprägt und machte den Eindruck, als wäre sie einmal gebrochen gewesen. Die Haare fielen lockig bis auf die Schultern, während der Vollbart gepflegt wirkte.
    Engel starrte das Gesicht an. Er war sich sicher, dass er diesen Mann schon einmal gesehen hatte.
     
    ***
     
    «Es ist zwar eine Weile her, dass ich einen lebenden Patienten hatte, aber ich denke, es geht ihm jetzt besser.»
    Hawley lächelte Wolfram Engel gequält an, nachdem sie den Puls seines Bruders gemessen hatte.
    «Er sollte sich in den nächsten Stunden nicht aufregen.»
    «Nicht aufregen, wie soll das gehen?»
    Thomas’ Stimme war schwach und leise, er richtete aber den Oberkörper leicht auf, was mit den angewinkelten und hochgelegten Beinen zu einer grotesken Körperhaltung führte. Wolfram nickte dem Rechtsmediziner zu.
    «Lassen Sie uns einen Moment alleine, bitte.»
    Dann drehte er sich zu seinem Bruder und wartete, bis Hawley die Tür des kleinen Raumes hinter der Bühne des Mausoleums geschlossen hatte. Er setzte sich auf einen Klappstuhl, der neben dem Feldbett stand, auf dem sein Bruder nun wieder zurückgelehnt lag. Er nahm seine Hand und streichelte sie.
    «Ich weiß, wie furchtbar das hier für dich sein muss.»
    Thomas drehte seinen Kopf zur Wand und schwieg.
    «Ich weiß auch, dass du mich verantwortlich machst. Aber glaub mir bitte, ich hatte keine Ahnung von dem Spektakel, das Henderson uns hier bieten würde.»
    «So?»
    Thomas funkelte seinen Bruder mit aufgerissenen Augen an.
    «Ihr Wissenschaftler macht es euch leicht! Ihr forscht ja nur völlig wertfrei. Euch geht es nur um die Vermehrung des Wissens zum Wohle der Menschheit. Es ist doch wunderbar, die Kraft der Atome zu erkennen und zu bändigen. Ihr könnt doch nichts dafür, wenn andere daraus Bomben bauen, die zur größten Geißel der Welt werden. Oder die tollen Ergebnisse der Genforschung. Kälber mit zwei Köpfen, geklonte Menschen? Nein, das habt ihr nicht gewollt.»
    Ein feiner Sprühregen von Speichel erreichte Wolframs Gesicht, als Thomas die letzten Worte mehr ausspuckte als aussprach.
    «Ich verstehe, dass du aufgebracht bist, Thomas. Aber du weißt, dass es nicht so einfach ist.»
    «Doch, es ist so einfach. Du und deine Wissenschaftsfreunde, ihr dreht seit Jahrzehnten jeden Stein in Palästina um in der Hoffnung, darunter das Wort ‹Jesus› zu finden. Mit keinem anderen Fund kann man schneller berühmt und schneller reich werden. Und dann wundert ihr euch, dass ein Fanatiker wie Henderson auftaucht, der sich keinen Deut um eure wissenschaftliche Redlichkeit schert?»
    «Jetzt bist du ungerecht, Thomas!»
    Langsam ärgerte sich Wolfram. Schließlich war er es, der ständig darauf hinwies, dass es keinerlei Beweis gab, dass der Jesus aus dem Grab Jesus Christus war.
    «Ungerecht, wenn ich das höre! Ihr zerstört mutwillig und ohne Not alles, woran Millionen von Menschen glauben, was ihnen Halt im Leben gibt, oft ihr Leben überhaupt erträglich macht in den Slums und Favelas - und ich, der ich das anklage, ich bin ungerecht!»
    Thomas setzte sich mit einem Ruck auf.
    «Ich hätte nicht gedacht, dass du dich dazu hergibst, Wolfram. Du verkaufst deine Seele und merkst es nicht!»
    Der Wissenschaftler sprang von seinem Stuhl auf.
    «Was für ein Unsinn. Ihr, die Kirche, verkauft die Gläubigen seit Jahrtausenden für dumm. Jahrhundertelang durften sie nicht einmal wissen, was im Neuen Testament geschrieben stand. Nur lateinisch sprechende Gelehrte konnten sich ein Bild machen, für neunundneunzig Prozent der Menschen mussten die frommen Heiligengeschichten reichen. Erst Luther setzte dieser Unmündigkeit der Gläubigen ein Ende. In deiner katholischen Kirche sollte es noch Jahrhunderte dauern, bis endlich im Gottesdienst nicht mehr Latein gesprochen wurde.»
    Wolfram ging in dem kleinen Raum auf und ab wie ein Tiger im Käfig.
    «Eure Theologie hat die historische Wahrheit so oft gebeugt, dass sie kaum noch erkennbar ist hinter alle den Phrasen und Lügen, die ihr den

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