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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Tafel aufhob. Er war geradezu beleidigt, dass alle so still und teilnahmslos waren. Schließlich sei heute der größte Tag der kritischen Wissenschaften, da dürfe man ein bisschen mehr Enthusiasmus erwarten.
    Als Engel endlich seine Suite betrat, ging er sofort ins Bad, drehte sämtliche Wasserhähne auf und setzte sich mit dem Handy auf den Wannenrand. Er war im ersten Moment überrascht, als sich nicht Jannis, sondern Maria meldete. Sie ließ ihn aber gar nicht zu Wort kommen, sondern begann sofort zu reden.
    «Hallo Wolfram, ich warte schon lange auf deinen Anruf. Sie sind nicht da, Jannis hat beide mitgenommen. Frag nicht, wohin, sie meinten, es sei besser, wir würden darüber nicht übers Telefon reden, und du bräuchtest auch nicht mehr zu wissen, als dass sie wohlauf sind. Jannis hat vor einer Stunde angerufen, alles ist gut, er würde sich nicht mehr melden, du sollst dir keine Sorgen machen ...»
    «Maria! Maria, bitte!»
    Endlich gelang es ihm, ihren Redeschwall zu unterbrechen.
    «Habe ich das richtig verstanden, Jannis ist mit Angela und Hannah weggefahren?»
    «Ja, das sage ich doch die ganze Zeit. Ich weiß aber nicht, wohin, und du sollst das auch nicht wissen ...»
    «Gut, gut, Maria. Sag mir noch, ob du meine Handynummer hast.»
    «Angela hat sie mir aufgeschrieben, und den Zettel habe ich an einem sicheren Ort versteckt. Man weiß ja nie, und wir haben hier in Griechenland schon so viel erlebt mit Polizei und Durchsuchungen ...»
    «Maria, ich habe jetzt keine Zeit. Dank für alles. Und wenn sich Jannis bei dir meldet, ruf mich bitte an.»
    Er legte auf, bevor Maria antworten konnte. Jannis war ein kluger Mann, und Engel vertraute ihm. Er war als Kommunist in den Anfangsjahren der Junta gejagt worden und hatte sich mehrere Monate versteckt, ehe er und Maria nach Deutschland fliehen konnten. Er kannte viele Stellen, an denen sie vor den Männern des Vatikans sicher waren. Er hoffte es zumindest.
     
    Engel hatte die Verbindung nach Griechenland gerade unterbrochen, als das Telefon erneut klingelte.
    «Wir müssen reden, Wolfram.»
    Hawley klang ruhig und gefasst.
    «Gut! Ich komme zu Ihnen.»
    Drei Minuten später saß Engel in Patrick Hawleys Suite, die den gleichen Zuschnitt wie seine eigene hatte, jedoch nicht den spektakulären Blick auf die Themse bot. Der Rechtsmediziner hielt ein großzügig eingeschenkte Glas Whisky in der Hand und bot seinem Gast ebenfalls einen Drink an, der um ein Glas Wasser bat.
    «Sind Sie Atheist, Wolfram?»
    Obwohl ihm die Frage nach Erscheinen seines Buches über die Familie Jesu oft gestellt worden war, überraschte sie Engel. Worauf wollte Hawley hinaus? Er konnte sich keinen Reim darauf machen, wollte aber die Antwort nicht schuldig bleiben.
    «Ich würde mich eher als Antitheisten bezeichnen.»
    Hawley schaute ihn über das erhobene Whiskyglas fragend an. Engel beugte sich nach vorne, stellte sein Glas auf den niedrigen Couchtisch, stand auf und ging zum Fenster. Mit dem Blick nach draußen sprach er weiter:
    «Kennen Sie Russels Teekanne?»
    «Meinen Sie den berühmten Mathematiker und Philosophen?»
    «Genau den. Bertrand Russel war einer der wichtigsten Skeptiker der Geistesgeschichte. In den Fünfzigerjahren verfasste er seine berühmte Teekannen-Analogie.»
    Engel drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an einen schmalen Pfeiler zwischen zwei Fenstern.
    «Stellen Sie sich vor, ich würde behaupten, dass es zwischen Erde und Mars eine Teekanne aus Porzellan gibt, die auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreist. Diese Teekanne ist außerdem so klein, dass sie selbst von den leistungsfähigsten Teleskopen nicht entdeckt werden kann. Erklärte ich meine Behauptung für unwiderlegbar, täte jeden Zweifel daran als unerträgliche Anmaßung menschlicher Vernunft ab, würden Sie völlig zu Recht an meinem Verstand zweifeln. Wenn aber in uralten Büchern die Existenz einer solchen Teekanne beschrieben wird, und wenn man das jeden Sonntag als heilige Gewissheit lehrt und den Kindern in der Schule als unumstößliche Wahrheit einimpft, dann – daran hat sich seit Russel noch nicht viel geändert - würde man eher den Zweifler zum Psychiater schicken. Wobei er damit noch gut dran ist, über viele Jahrhunderte schleppte man ihn vor den Inquisitor.»
    «Das Christentum ist Ihrer Meinung nach so eine Teekanne?»
    «Jede Religion ist das, nicht nur das Christentum. Das Schlimmste am System der Religionen ist, dass sie ihre Ansprüche mit Gewalt gegen

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