Im Auftrag der Rache
verschaffen, die engen Grenzen von Q’os sowie seinen ganzen Fanatismus, seine Paranoia und die Machtspiele hinter sich zu lassen, die das Lebensblut der Reichshauptstadt waren, sowie all die kleinen Mordaufträge, die zu seinem eigenen Lebensinhalt geworden waren.
Ché schaute auf das Fenster, das in Höhe der Aussichtsgalerie an der gegenüberliegenden Wand verlief, und sah hinaus nach Norden über das schlafende Q’os. Einige Luftschiffe schwebten über der Szenerie; ihre Antriebsröhren zeichneten Streifen aus Feuer und Rauch in den Sternenhimmel. Unter ihnen lag die Inselstadt, ein großer Handabdruck aus glitzernden Lichtern und einer von Menschen geschaffenen Küstenlinie, die in die schwarze Decke des Meeres gestanzt war.
Ché fuhr mit den Blicken die Konturen der Inselhand nach, bis sie auf dem Ersten Hafen zur Ruhe kamen, jener Einbuchtung zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger der Insel, wo nadelkopfgroße Nachtlichter in der Finsternis glommen. Das war die Flotte, die ihn in den Krieg bringen würde, sobald der Befehl dazu gegeben wurde.
»Wie Nihilis uns gelehrt hat«, sagte der Redner unter ihm gerade, »und wie wir es während der vielen Jahre unserer Expansion praktiziert und verfeinert haben, bedeutet absolute Herrschaft einerseits die Herrschaft durch Gewalt und andererseits durch Zustimmung. Das Volk muss an der eigenen Unterwerfung unter Mhann beteiligt werden. Es muss begreifen, dass dies der beste Weg zu leben ist.
Deshalb wurden, als der Orden Q’os in der Längsten Nacht eroberte, die Mädchenkönigin und die politischen Parteien der Adligen abgesetzt, die demokratische Versammlung aber nicht. Und das ist der Grund dafür, dass die Bürger des Kernlandes und des Mittleren Reiches für den Hohepriester ihrer jeweiligen Stadt und die Verwalter der Distrikte in einem Akt stimmen, den wir die Hand der Teilhabe nennen und die es den Menschen erlaubt, eine geringe Mitsprache oder zumindest den Anschein einer Mitsprache in den Angelegenheiten ihres täglichen Lebens zu haben. Das ist das Geheimnis unseres Erfolges, auch wenn es eigentlich kein Geheimnis ist. Das ist der Grund dafür, dass unsere Herrschaft so effektiv ist.«
Bei diesen Worten zuckten Chés Lippen. Er wusste, dass es mehr als des zweiseitigen Weges bedurfte, um die bekannte Welt zu beherrschen. Schließlich war er ein Diplomat und damit Teil eines dritten Weges – des verborgenen Weges. Zu ihm gehörten auch die Élasch, die Spione und Erpresser und Ränkeschmiede. Und auch die Regulatoren, die Geheimpolizei, die inmitten der Masse nach Anzeichen für Abweichungen und organisierten Widerstand suchten und alles als Verbrechen ansahen, was den Wegen von Mhann widersprach.
Er bemerkte, dass auch Deajit bei den Worten des Redners lächelte. Einen Augenblick lang verspürte Ché eine schwache Verbindung zu diesem Mann. Vielleicht war er ebenfalls ein Mitglied des dritten Weges. Zum ersten Mal fragte er sich, was er getan hatte, um ein solches Schicksal zu verdienen, denn Chés Betreuer hatte ihm nichts außer dem verraten, was getan werden musste.
Doch dann drehte sich Deajit um und ging auf die Tür zu. Es war Zeit.
Ché machte einen Schritt nach vorn, so dass der Priester an seinem Arm vorbeistreifte. Blitzartig packte Ché den Mann am Handgelenk und wirbelte ihn herum, so dass sie sich gegenüberstanden. Ein Ausdruck des Schocks legte sich über die glatten Züge des Mannes.
Ohne Vorwarnung drückte Ché ihm die Lippen auf den Mund und presste sich in einem groben Kuss gegen ihn.
Der Priester keuchte wütend auf und wich zurück. Er sah Ché böse an, der den Mann noch am Handgelenk gepackt hielt und spürte, wie ein Schauder ihn durchlief. »Du solltest das Vertrauen deiner Freunde nicht so bereitwillig verraten«, sagte Ché leise zu ihm, wie es ihm befohlen worden war; dann ließ er den Priester los. Chés Herz schlug heftig.
Deajit wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und zog sich aus dem Raum zurück, nachdem er einen letzten Blick auf Ché geworfen hatte.
Er wartete einige Zeit, während all jene, die sich in seiner Nähe befanden, seinem Blick eifrig auswichen. Dann drehte Ché ihnen den Rücken zu, nahm eine weitere Phiole aus der Tasche und schüttete sich ein wenig von der schwarzen Flüssigkeit auf die Handfläche. Er wusch sich damit die Lippen und rieb sich auch die Hände ein. Mit dem Rest spülte er sich den Mund aus und spuckte ihn schließlich auf den Boden.
Draußen auf dem Korridor war
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