Im Auftrag der Rache
leidenschaftlich, als ob er in den wenigen Stunden mit Löckchen seine gegenwärtigen Lebensumstände unbedingt vergessen wollte.
Er mochte selbstmordgefährdet sein, aber er war sicherlich kein Amokläufer.
Doch die Angst in seiner Stimme hatte ihr nicht gefallen, als er über die schweigenden Kanonen gesprochen hatte. Es hatte geklungen, als ob er verdammt wäre – als ob sie alle verdammt wären. So etwas hörte sie nicht gern. Sollte er doch seine Sorgen mit seiner Frau teilen, deren Namen er in der Hitze der Ekstase immer wieder herausbrüllte.
Löckchen stand auf und steckte ihren Lohn in die Geldbörse, die sie im Jubbakübel versteckt hatte. Es befanden sich eine Handvoll Silbermünzen und etwas mehr in Kupfer darin. Das war nicht viel für die Arbeit, die sie leistete. Da die immer schlechter werdende Versorgungslage in der Stadt zu ständig höheren Preisen führte, war Rosa gezwungen, die Preise für das Essen regelmäßig heraufzusetzen, doch es fiel ihr trotzdem beständig schwerer, für ausreichende Mahlzeiten zu sorgen.
Löckchen goss Wasser aus einer Kanne in die tönerne Waschschüssel. Sie stand nackt auf einem Handtuch aus Baumwolle, das sie auf den Boden vor dem Waschständer ausgelegt hatte, und säuberte sich mit einem Stück Seife, das nach Apfel duftete. Der Dampf aus dem Räuchergefäß kräuselte sich um ihren Körper und vertrieb die anderen Gerüche aus dem Raum. Doch es blieb eine schwere Atmosphäre zurück; die Sorgen und Ängste des Mannes lagen noch über der Stille. Löckchen summte ein Lied aus ihrer Kindheit und machte das Zimmer wieder zu ihrem eigenen.
Sie bekam eine Gänsehaut, als eine kühle Brise durch das offene Fenster hereinblies. Rasch trocknete sie sich ab und schmierte sich die Beine dort, wo die Wanzen gebissen hatten, mit ein wenig Zitronensaft ein. Dann prüfte sie ihr Haar in der Spiegelscherbe, die gegen den Waschständer lehnte, und schlüpfte in das Wollkleid, das sie stets trug, wenn sie nicht arbeitete. Sie summte noch immer, als sie sich den hölzernen Talisman um den Hals legte, und hörte Rosa zu, die mit lauten Rufen die Kinder aus der Küche jagte.
Rosa vermietete alle Räume im Obergeschoss ihres Hauses, damit sie ihren Stamm aus ungeratenen Straßenkindern füttern und kleiden konnte. Es war eine seltsame Mischung, wenn die Welt der verspielten, lärmenden Kinder nach oben in die kleinen, schäbigen Zimmer eindrang, in denen die Frauen arbeiteten, in denen Schlackabhängige ihr geisterhaftes Leben führten, in denen städtische Einsiedler und um ihre Existenz ringende Künstler hausten. Aber irgendwie funktionierte es, vermutlich weil es einfach funktionieren musste. Rosa hielt die Mieten so niedrig wie möglich und sorgte dafür, dass sich jeder als Teil einer großen Familie fühlte. Wider alle Erwartungen herrschten in diesem Haus Wärme und ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Löckchen zitterte jetzt, aber nicht vor Kälte. Sorgfältig hob sie das kleine hölzerne Kästchen vom Boden auf und lehnte sich gegen die Kissen. Im Innern des Behälters befand sich ihr kostbarer Vorrat an Schlack; das staubgraue Pulver steckte in einem Umschlag aus gefaltetem Grafblatt. Löckchen zog damit eine Linie über ihren Handrücken, legte den Umschlag zurück in das Kästchen und stellte dieses auf das Bett. Dann steckte sie sich den Riedstummel, den sie bei diesen Gelegenheiten benutzte, in das eine Nasenloch, hielt sich das andere zu und holte tief Luft. Dadurch wurde der Staub auf ihrer Hand in einem einzigen Atemzug aufgesogen.
Sie rieb sich die Nase, schniefte, legte sich unter Keuchen gegen die Kissen und spürte, dass ihre Kehle bereits taub war. Ihre Finger und Zehen kitzelten, und dieses Kitzeln breitete sich aus und brachte Hitze und Vergnügen mit. Das Gefühl drang in die Glieder, in den Rumpf, in den Kopf … bis es schließlich auf angenehmste Weise den Verstand erreichte.
Kapitel fünf
Im Leben gibt es Gutes
An diesem Morgen zerriss der Schmerz seinen Kopf, und er kaute auf einem Dulceblatt herum, als er zwischen die Stände auf einem der Q’oser Marktplätze trat und unter den nassen Falten seiner Kapuze auf den Regen blickte, der so fein fiel, dass er hin und her getrieben wurde und jede Richtung verloren hatte.
Über ihm schlugen die Glocken der nahen Tempel die neue Stunde; es klang aufdringlich und zu laut, nachdem sie so viele Wochen geschwiegen hatten. Aus der Richtung der nahen Serpentine waren die frühmorgendlichen Gesänge der
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