Im Auftrag der Rache
ihre hässlichen Rufe aus. Lange starrte Bahm durch den Spitzenvorhang auf die Baustelle der Mietshäuser an der anderen Seite des Platzes und des städtischen Gemüsegartens. Die Kräne und Gerüste erhoben sich unter einer blauen Himmelsplatte. Abermals ertönte die Stimme durch die papierdünne Wand hinter ihnen; sie gehörte Meqa, die mit einem Freier um den Preis feilschte. Von unten drang noch immer der Lärm der Kinder durch die Bodendielen.
Diese fünfzehn Kinder bildeten einen Stamm, und sie wurden ausschließlich durch ihre Mutter Rosa, die Herrin des Hauses regiert. Allerdings hatte es sich inzwischen herausgestellt, dass sie bis auf zwei Ausnahmen gar nicht die Mutter dieser Mädchen war; sie war vielmehr eine Witwe mittleren Alters mit einem guten Herzen, die einfach jedes hungrige herumstreunende Kind aufnahm, dem sie begegnete. Die Kleinen schienen kaum die Männer wahrzunehmen, die zu allen Stunden des Tages die knarrende Treppe im rückwärtigen Teil des Hauses hinaufstiegen. Auch Bahm hatten sie bei seinen bisherigen Besuchen hier kaum eines Blickes gewürdigt. Die Kinder waren zu sehr damit beschäftigt, im Dreck des Hinterhofs zu spielen, kreischend um Würmer zu kämpfen und jedes Mal freudig zu schreien, wenn einer in zwei Teile zerriss.
Dabei dachte Bahm an seinen eigenen Sohn und seine kleine Tochter, aber er scheuchte diese Gedanken sofort weg, bevor sie Gestalt annehmen konnten.
»Es ist still«, sagte das Mädchen.
Damit meinte sie das Schweigen der Kanonen beim Schild, der sich einen halben Laq in südlicher Richtung befand.
Bahm nickte. Die mhannischen Kanonen hatten schon seit mehr als einer Woche keinen Schuss mehr abgegeben. Angeblich war eine Trauerperiode im ganzen Reich ausgerufen worden, weil der Sohn der Matriarchin umgekommen war. Die Kanonen der bar-khosischen Verteidigung waren ihrem Beispiel gefolgt, auch wenn es nur geschehen war, um Schwarzpulver zu sparen.
Seine Stimme klang wehmütig, als er sagte: »So war es auch vor zehn Jahren – vor der Belagerung und dem Krieg. In der Stadt hörte man nur die alltäglichen Geräusche.« Bahm seufzte noch einmal. »Ich frage mich, ob es je wieder so sein wird.«
»Du klingst besorgt«, sagte sie und kniff die Augen zusammen, während sie sein Gesicht betrachtete. »Hast du etwas gehört?«
Einen Moment lang spürte Bahm eine Anspannung in der Brust; die Muskeln krallten sich um sein Herz. Vor seinem geistigen Auge sah er fernen Feuerschein; es wirkte wie das Brennen von Städten.
»Nein«, log er sie an. »Aber selbst wenn ich etwas gehört hätte, könnte ich es dir nicht sagen.« Bahm drückte ihre Schulter und versuchte die Spannung in seiner Brust zu vertreiben, indem er tief ein- und ausatmete. »Mir schwirrt bloß zu viel im Kopf herum, das ist alles.«
Sie fragte ihn nichts mehr, sondern legte den Kopf über sein heftig schlagendes Herz. »Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen«, murmelte sie.
»Warum sagst du das?«
»Weil du dich sorgst wie eine alte Frau. Du denkst zu viel.« Sie hob den Kopf und tippte ihm zweimal gegen die linke Schläfe.
Er zwang sich zu einem Lächeln. »Meine Mutter ist genauso. Sie macht sich ständig über irgendwas Sorgen.«
Sie nickte verstehend.
Bahm betrachtete sie, wie sie sich an ihn lehnte: die leichte Röte ihrer Nasenlöcher vom Einatmen der Droge, die Schlack genannt wurde; die Quetschung an ihrem Hals, die genau die Form seiner geschürzten Lippen hatte. Er war wieder grob zu ihr gewesen.
Wann habe ich Marlee zum letzten Mal einen solchen Knutschfleck versetzt? , fragte er sich. Bevor ihr Sohn auf die Welt gekommen war. Vor dem Krieg, als sie beide noch jung und sorgenfrei gewesen waren.
Bahm fuhr mit dem Finger über die zarte Haut ihrer Schulter.
Ich werde diese Schuldgefühle immer haben , dachte er.
Ohne Vorwarnung rollte er sich auf sie. Einen Moment lang zeigte sich Überraschung in ihren Augen, aber sie war verschwunden, als er ihren Hals küsste, und wurde durch etwas Undeutbares ersetzt.
*
Er dreht bald durch, dachte Löckchen, als Bahm ging und der Klang seiner Stiefel auf der Treppe verblasste. Löckchen hatte es schon bei anderen Soldaten aus der Stadt gesehen, die wegen der Belagerung unter Schock standen. Es waren Männer, die sich kurz vor einem Amoklauf befanden und bereit waren, alles um sie herum zu vernichten, um einen Weg hinaus zu finden. Das waren immer die Gröbsten, aber Bahm war eigentlich nicht so schlimm. Er war eher hemmungslos
Weitere Kostenlose Bücher