Im Auftrag der Rache
vergilbten Farbe bildete.
»Was machst du da?«, fragte Guan sie, als er sich neben sie stellte. »Bist du auf Droge?«
»Nur ein bisschen. Mach dir keine Sorgen, Bruder. Das schärft meine Sinne.«
Gemeinsam stiegen die beiden Priester über den Leichnam und blieben vor der Tür stehen. Laute Stimmen drangen von der anderen Seite heraus. Sie hörte ein Baby schreien.
»Bitte einer nach dem anderen! Milan, ich habe deine Hand zuerst oben gesehen.«
»Ich wollte nur sagen, dass wir einen guten Grund haben sollten, wenn wir den Plan ablehnen. Es reicht nicht, dass wir nur Angst vor dem haben, was er für uns bedeuten könnte.«
»Aber Milan«, ertönte eine andere Stimme, »ausgerechnet in der Woche des Augere? Sie werden uns an Ort und Stelle umbringen, weil wir die heilige Woche gestört haben.«
»Und wer soll in den Mühlen und Stahlwerken von Wirrwarr arbeiten?«, wandte eine Frau ein. »Oder glaubst du etwa, sie sind bereit, ihren Gewinn zu verlieren, während sie neue Arbeiter anlernen müssen?«
»Blödsinn!«, rief jemand anderes. »In den Mühlen können sie innerhalb weniger Wochen eine ganz neue Belegschaft einsetzen. Darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass sie während des Augere verwundbar sind. All diese Pilger, die aus dem ganzen Reich hierherkommen. All diese Abgesandten des Caucus. In dieser Woche soll die ganze Welt die Einheit von Mhann feiern – ein einziges, glückliches Reich, in dem wir alle unsere Fahnen schwenken und das Gefühl haben, dazuzugehören und die guten Schafe zu sein, die wir sein sollen. Und währenddessen handeln sie hinter verschlossenen Türen aus, wie sie uns noch besser auspressen können. Nein, es wird ihnen gar nicht gefallen, wenn wir sie bloßstellen, indem wir auf die Straße gehen. Aber wenn sie nicht vor allen Augen ein Blutbad veranstalten wollten, müssen sie über unsere Bedingungen nachdenken.«
»Wir sind nicht hier, um über eine Revolution zu diskutieren, Kottel. Was ist, wenn sie warten, bis die Pilger wieder weg sind und uns dann alle in der Schay-Madi-Arena verbrennen, wie sie es mit den Obdachlosen machen, und dann die Fabriken mit den armen Seelen füllen, die echte Sklaven sind?«
»Dann wird es einen wirklichen Aufstand geben. Wie zu den Zeiten unserer Väter und Mütter, als die Priester zum letzten Mal geglaubt haben, sie könnten der arbeitenden Klasse das Brot aus dem Mund stehlen. Sie müssen uns erlauben, ein Auskommen zu haben. Sogar die Priester gestehen uns das zu.
Außerdem hat uns die Angst um das, was wir verlieren könnten, hier zusammengeführt. Wir hätten schon immer zusammenhalten müssen, haben es aber nie getan, weil sie stets damit gedroht haben, uns durch Sklaven zu ersetzen oder die Fabriken an einen anderen Ort zu verlegen. Ich verbringe mehr Zeit an den Pressen als zu Hause. Und bei meiner Frau und unseren ältesten Söhnen ist es genauso. Trotzdem können wir uns kaum kleiden und ernähren und schon gar nicht die rückständigen Mieten oder die Medizin bezahlen, wenn die Kinder krank sind. Wir müssen etwas unternehmen, um Kuschs Willen!«
Schwan lächelte – nicht über die Worte, sondern über die wortgewandte Inschrift in dem Türsturz.
Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als die Finsternis zu verfluchen .
Ihr Bruder entspannte sich neben ihr und deutete auf etwas in den Schatten über der Inschrift.
Es war eine gemeißelte Darstellung zweier ineinander verschränkter Hände, die mit Stacheldraht umwunden waren.
»Sie nennen sich die Bastarde von St. Charlos.«
»St. Charlos? Hab nie von ihm gehört.«
»Nein, bestimmt nicht«, erwiderte Guan. »Sein Name wurde fünfundzwanzig Jahre vor unserer Geburt verboten. Er war ein Priester der alten Religion, als diese Stadt noch eine Monarchie war. Er hat am Ostufer von Wirrwarr gelebt und gearbeitet und sein ganzes Geld den Armen gegeben. Er hat diese Ruhehäuser errichtet. Und deshalb wird er wie ein Heiliger verehrt.«
»Siehst du, das ist der Grund, warum ich so froh über meinen klugen Bruder bin. Ansonsten müsste ich all diese langweiligen Bücher selbst lesen. Dann kannst du mir in deiner großen Weisheit sicher auch verraten, warum dieser Abschaum sich Bastarde nennt.«
»Charlos liebte die Frauen. Es heißt, dass die die Hälfte der Kinder in diesem Bezirk seine illegitimen Nachkommen waren.«
Schwan lachte lauter, als es gut war, und ihr Bruder beobachtete sie mit einem Stirnrunzeln.
Plötzlich verstummten die Stimmen hinter der
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