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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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jenen Ort geflohen, in dem er geboren worden war und die ersten vier Tage seines Lebens verbracht hatte.
    Jenen Ort, in dem Frau und Tochter Jahre später ermordet wurden.
    Sie kehrte zum Bett zurück. »Deshalb sind sie nach der Rückführung 1998 nach Štrpci, nicht nach Poreč. Nur: Warum haben sie sich in Deutschland wieder unter dem Namen Lončar registrieren lassen?«
    »Was für ein Kuddelmuddel«, brummte Alfons Hoffmann.
    »Es erklärt vieles.«
    »Jugo-Kuddelmuddel, sagt Illi.«
    Sie nickte stumm. Jugo-Schicksale.
     
    Später ging sie allein durchs Haus, um sich einen Überblick zu verschaffen, Räume, Fenster, Balkone, Türen nach draußen, wie kam man herein, wie kam man hinaus, waren alle Türen abgesperrt.
    Ein Keller wie eine Gruft, von Schimmel, Staub, Spinnweben geschwärzte Wände. Ein Öltank, ein Waschraum mit Waschmaschine und Trockner und Ausgang zum Gemüsegarten. Ein halbleerer Weinkeller, der ganz offensichtlich seit Jahren nicht benutzt worden war.
    Sie kehrte ins Erdgeschoss zurück. Überlegungen anzustellen, wie Lončar vorgehen würde, falls er tatsächlich kam, wäre nutzlos gewesen. Er hätte verschiedene Möglichkeiten, würde die wählen, mit der sie am wenigsten rechnen würde. Immerhin, jetzt kannte sie sich im Haus aus, vielleicht ein kleiner Vorteil.
    In ihrem Zimmer erledigte sie die üblichen Telefonate, Jenny Böhm zuerst, die wieder reden wollte und wieder vertröstet wurde, dann Alfons Hoffmann, der wieder Neuigkeiten zu berichten wusste, über inoffizielle Kontakte zur Staatsangehörigkeitsstelle erfahren hatte, dass sich Antun Lončar nach der Rückführung im Winter 1998 als deutschstämmig deklariert, seinen richtigen Namen angegeben und
für sich und seine Familie einen Antrag auf Wiedereinreise gestellt hatte. Da er keinerlei Dokumente wie Geburtsurkunde, Pass, Schulzeugnisse auf den Namen Heinrich Schwarzer hatte vorlegen können, war der Antrag abgelehnt worden.
    Die alte Heimat hatte ihn und seine Familie nicht aufgenommen.
     
    Abendessen bei den Niemanns in Au, das war tatsächlich Schweigen, gesenkte Blicke, düstere Mienen bei Kohlrabisuppe und Spaghetti Bolognese an dem riesigen Küchentisch, der ohnehin keine Nähe zuließ, weil jeder mehr oder weniger für sich saß. Nur Carola versuchte es hin und wieder, sprach ihre Mutter, ihren Vater an, tuschelte mit Philip, fragte Louise nach ihrer Familie, ob sie verheiratet sei, Kinder, Geschwister habe. Außer Louise wollte niemand so recht antworten. Und irgendwie verstand sie diese Menschen. Wenn sie einmal nicht daran dachten, dass die Familie auseinanderbrach, dann daran, dass ihr Leben womöglich in Gefahr war. Wer hatte da schon Lust zu reden?
    »Geht ihr morgen in die Schule?«, fragte Louise.
    »Mhm«, machte Philip.
    »Nein«, sagte Carola.
    Paul Niemann hob den Blick. »Vielleicht solltest du auch zu Hause bleiben, Philip. Bis das alles ... vorbei ist.«
    »Zu Hause«, spottete Philip.
    »Na ja. Hier.«
    Philip sagte nichts.
    »Oder?«, fragte Paul Niemann Louise.
    Sie zögerte. Die Frau, die Tochter. All diese Ahnungen. Und wenn sie sich täuschte? Wenn Lončar hinter dem Vater und dem Sohn her war? »Es sollte schon okay sein. Eine
Streife bringt ihn hin und holt ihn ab. Die Schule ist informiert, die Lehrer wissen Bescheid.«
    »Na gut«, sagte Paul Niemann. »Sie werden schon wissen, was Sie tun.«
    Sie verdrehte die Augen. Nur Carola sah es und grinste. Mats Benedikts Warnungen fielen ihr ein, du überschreitest Grenzen, du übernimmst Verantwortung.
    Carolas unausgesprochener Satz von vorhin – und Sie sind bei uns.
     
    Philip ging als Erster. Henriette Niemann räumte den Tisch ab, Paul Niemann bot Kaffee oder Schnaps an und schwieg wieder. Draußen herrschte Oktoberdunkel, die Scheiben von Gartentür und Fenstern spiegelten, was drinnen geschah, spiegelten all das Schweigen, Leiden, die Angst, die Apathie.
    »Und morgen Müsli mit frischen Pflaumen«, sagte Henriette Niemann und lächelte fahrig, »ich habe einen Pflaumenbaum in diesem schrecklichen Garten gesehen.«
    »Gehen Sie nicht allein raus«, sagte Louise. »Nur mit mir oder einem meiner Kollegen.«
    »Er wird schon nicht im Pflaumenbaum sitzen, oder?«
    »Sie gehen
nicht
allein in den Garten.«
    »Ich
bitte
Sie. Drei Meter von hier. Übertreiben wir nicht ein wenig?«
    »Du solltest das wirklich nicht tun«, murmelte Paul Niemann.
    Henriette Niemann beachtete ihn nicht. Die kleinen Augen funkelten Louise an, die Wangen waren hochgezogen.

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