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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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machen? Dass sie nur Skepsis hervorrufen? Ratlosigkeit?
    Sie stellte die Fragen nicht. Während sie in Eisensteins alte, feuchte Augen sah, dachte sie, dass man von Menschen wie ihm, die in Lagern wie Valpovo gewesen waren, die auf der Flucht verfolgt und beschossen worden waren, die jahrelang ihre Identität hatten verleugnen müssen, vielleicht keine Objektivität verlangen sollte.
    Von Menschen, die von einem Tanz der Sterbenden träumten.
     
    Und auch Andreas Eisenstein stellte seine Fragen nicht – was ist Heinrich widerfahren, was hat er noch nicht zu Ende gebracht? Irgendwann im Lauf der vergangenen Minuten war ihr klargeworden, dass er es nicht wissen wollte, weder das eine noch das andere. Vielleicht, dachte sie, weil er sich ein Bild der Vergangenheit bewahren wollte, das ihn
jahrzehntelang begleitet hatte und das von der Gegenwart unberührt bleiben sollte.
    Oder weil er wusste, dass er die Antwort nicht ertragen hätte.
     
    Eine Frage aber stellte sie noch.
    Ein Zigarettenetui mit einer Inschrift, »Valpovo 1945 «.
    Eisenstein nickte, ein Geschenk für Heinrich von einem deutschen Jungen im Lager Walpach.
    Mehr sagte er nicht, blickte sie nur an, als sollte diese Geschichte nicht erzählt werden, weil es Geschichten gab, die unerzählt bleiben mussten.
     
    In Mats Benedikts Dienstwagen führte sie die obligatorischen Telefonate, Mats, die Kollegen vor dem Haus der Niemanns, Alfons Hoffmann, der Eisensteins Buch aus Frankfurt erhalten hatte und darin las und ansonsten auch keine Neuigkeiten hatte, schließlich Jenny Böhm, die noch immer im Hotelbett lag, Fernsehserien und Talkshows sah, dazwischen jene Anrufe erledigte, die das Versteckspiel und das Lügen beenden sollten. Während der Gespräche ließ Louise den Blick über Andreas Eisensteins Haus, die Häuserzeile, die gegenüberliegenden Vorgärten gleiten, beobachtete im Rückspiegel, was sich hinter ihr tat, falls er tatsächlich hier war, Antun Lončar, der einmal Heinrich Schwarzer geheißen hatte, vor langer, langer Zeit, 1942 in einem deutschen Dorf in Bosnien, in Osijek-Essegg, auf der Flucht nach Bleiburg in Kärnten, der erzwungenen Rückkehr nach Slawonien, im Lager Valpovo 1945 / 46 , und auf dem Weg nach Josefsdorf-Poreč ein Kind mit einem anderen Namen, einer anderen Sprache, einer anderen Familie, anderen Albträumen geworden war.

20
    SIE LÖSTE MATS BENEDIKT IN AU AB . Die Tagesschicht ging, die Nachtschicht kam, auch wenn niemand wusste, dass sie eingewilligt hatte, bei den Niemanns zu schlafen.
    Sie standen in der Dunkelheit draußen vor dem Haus, vor Mats Benedikts Wagen.
    »Ich bleibe über Nacht hier.«
    »Wie bitte?«
    »Ich brauche doch ein Bett ohne Feinstaub.«
    Mats Benedikt lächelte, aber die Augen hinter den Brillengläsern blickten skeptisch.
    »So bin ich eben, Mats. Ich habe komische Ahnungen, und ich mache komische Sachen, die nicht in der Stellenbeschreibung stehen.«
    Und, dachte sie, ich habe Antun Lončar hergeführt.
    »Es gibt Grenzen, Louise.«
    »Keine Grenze, die man nicht selbst definieren könnte.«
    »Es gibt Dinge, die man aus gutem Grund nicht tun sollte. Du übernimmst Verantwortung, die du nicht übernehmen solltest.«
    »Falls was passiert.«
    »Richtig. Abgesehen davon gehören die Niemanns zu unserem Berufsleben, nicht zu unserem Privatleben. Wenn die Bürozeiten vorbei sind, sollten wir die Tür schließen und nach Hause gehen.«
    »Und am nächsten Morgen vor ihren Leichen stehen?«
    »Au ist eine Festung, Louise.«
    Sie mussten lächeln. Bobs Sprüche, mit denen er den Lauf der Welt vorher festlegen wollte, damit ihm die Welt auf dem Weg nach oben nicht in die Quere kam. »Ich kann das nicht, Mats. Ich mag diese Menschen. Ich
fühle
mich verantwortlich.«
    »Du magst die Tochter.«
    »Das hast du gemerkt?«
    Mats Benedikt zuckte die Achseln. »Bin eben ein guter Bulle.«
    »Und ein netter.«
    »Lenk nicht ab.« Er berührte ihre Schulter.
    Sie nickte. »Irgendwie ist alles miteinander verbunden, Mats.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ein älterer Mann aus einem bosnischdeutschen Dorf und eine Familie aus Merzhausen, die bis vor ein paar Tagen nicht mal seinen Namen kannte. Eine Kripokommissarin ohne Mann und Kinder und ein trauriges, wildes Mädchen.« Sie hob eine Hand, bewegte sie in einem Halbkreis über Au. »Ein Dorf bei Freiburg und die Deutschstämmigen im ehemaligen Jugoslawien. Die deutsche Gegenwart und die Vergangenheit Südosteuropas. Alles irgendwie miteinander verbunden.«
    Antun

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